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Das erste der sieben Siegel

Titel: Das erste der sieben Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Case John F.
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werden oft nach dem Ort benannt, wo sie zum ersten Mal aufgetreten sind.«
    »Hongkong-Grippe, Marburg, Ebola –«
    »Genau.«
    »Alles Ortsnamen«, sagte Frank. »Mit einer Ausnahme, Ebola ist ein Fluss – zumindest soviel ich weiß. Jedenfalls, als es auf einmal Four-Corners-Virus genannt wurde, gingen die Einheimischen auf die Barrikaden. Die Handelskammer, die Fremdenverkehrsämter – ich meine, ihr Standpunkt ist durchaus nachvollziehbar. Das wäre ja so, als würde man in einer Stadt namens ›Polioville‹ wohnen.« Annie lachte. »Also hatte das Virus doch keinen Namen, und schließlich nannte man es dann ›Ohne-Namen-Virus‹.«
    »Nur dass es übersetzt wurde.«
    »Ja. Ich denke, man hatte auch ein sensibles Gespür für Sprache.«
    Sie gingen schließlich in ein äthiopisches Restaurant namens ›Meskerem‹. Es gab weder Besteck noch Stühle. Sie saßen auf Lederkissen und aßen einen scharfen Eintopf mit den Händen, indem sie sich Fleischstückchen und Gemüse mit Hilfe eines schwammigen Sauerteigbrotes namens injera von dem Servierteller in den Mund schaufelten. Es war ein Abendessen, das dazu angetan war, eine entspannte Intimität zu erzeugen, doch Annie blieb reserviert. Sie wirkte, als würde sie sofort Reißaus nehmen, sobald er Kopervik erwähnte.
    Also vermied er das Thema. Sie sprachen über die Behördenpolitik im Umgang mit Krankheiten, und nach einer Weile wurde Annie gesprächiger.
    »Sie würden es nicht glauben«, sagte sie. »Wenn irgendwo Cholera, Typhus, Diphtherie, egal was ausbricht, sogar die Pest, wird die Weltgesundheitsorganisation und die oberste Gesundheitsbehörde und Gott weiß wer verständigt. Aber gibt das Außenministerium die Informationen raus? So gut wie nie. Selbst wenn Thailand sich vor Geschlechtskrankheiten nicht mehr retten kann oder in Bolivien die Cholera ausbricht, das wird alles als Politikum gesehen – ein Angriff auf das betreffende Land.«
    »Man sollte meinen, die Gesundheit von Menschen müsste ihnen mehr am Herzen liegen.«
    »Und die andere Sache ist die: Jede Krankheit hat ihre eigene Lobby. Deshalb richtet sich die Finanzierung von Forschungsprojekten weniger danach, ob sie dem Wohl der Mehrheit zugute kommen, als danach … was weiß ich … wer am besten die Werbetrommel für seine Sache rühren kann.«
    »Halten Sie das für schlecht?«
    Sie zuckte die Achseln. »Es ist einfach so. Man kann es den Leuten nicht verübeln. Es geht ihnen unendlich nahe, wenn die Menschen leiden, die sie lieben, aber gleichzeitig sind die zur Verfügung stehenden Gelder begrenzt, also …«
    Sie hatte feine Gesichtszüge, lange Beine und die Haltung einer Tänzerin. Sie war so hübsch, dass nicht nur Franks Augen ihr folgten, als sie auf dem Weg zur Toilette an den vollbesetzten Tischen vorbeiging. Und dennoch hatte Frank, als er sie in den NIH kennenlernte, schon nach fünfzehn Minuten gewusst, dass sie nicht die Psyche einer hübschen Frau hatte. Komplimente machten sie verlegen, und sie konnte nicht flirten, zumindest schien es ihm so. Sie war scheu und schüchtern und schreckte bei dem kleinsten Körperkontakt zurück.
    Sie hatte etwas Naives an sich, das er umso überraschender fand, als sie, wie Frank wusste, eine brillante Wissenschaftlerin war. Einerseits war sie vermutlich ein Genie, und andererseits war sie weniger abgebrüht als die Sechstklässler, mit denen er an der Hine Middle School gesprochen hatte (im Rahmen einer Schulreportage für die Post).
    Doch so schwer sie sich auch mit Small Talk tat, sie hatte Humor und sprach gern über ihre Arbeit. Und ihr Lachen war vielversprechend: ein unbekümmertes Kichern, das manchmal mit ihr durchging.
    Also stellte er sich ganz auf sie ein und beschränkte sich auf die Dinge, bei denen sie sich wohl fühlte, hörte ihr aufmerksam zu und vermied alles andere. Und es funktionierte. Er konnte förmlich fühlen, wie sie lockerer wurde, weicher, als die Anspannung verschwand. Diese Eigenschaft hatte er mit seinem Vater gemein, eine Flexibilität, die es ihm ermöglichte, für jeden, mit dem er zusammen war, die perfekte Folie zu werden, ob er die Person nun verführen oder ihr Informationen entlocken wollte. Diese seine ›Gabe‹ bereitete ihm manchmal Kopfzerbrechen.
    Aber nicht einmal der Gedanke an seinen Vater – von dem er sich sein ganzes Leben lang zu distanzieren suchte – konnte ihn davon abhalten, sich bei Annie Adair ins Zeug zu legen. Als sie zurückkam und wieder Platz genommen hatte,

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