Das erste der sieben Siegel
für die Mittagszeit geplant, weil die Leute dann aus ihren Büros kamen, Restaurants ansteuerten und auf der Mall spazieren gingen oder joggten.
Über ihnen erklang das Dröhnen von Düsenflugzeugen im Landeanflug auf den National Airport. Mitten auf dem Fluss, als sie den Flughafen auf der einen Seite hatten und den East Potomac Park auf der anderen, stellte Tommy den Motor ab und ließ die Sundancer treiben. Dann baute er die tragbaren Gestelle auf, während Vaughn und Belinda so taten, als würden sie angeln. Als alles an Ort und Stelle war, ließ er den Motor wieder an und fuhr weiter flussaufwärts, immer näher und näher an das Ufer in Höhe der Mall.
Es waren viele Leute unterwegs. Er sah Jogger und Inline-Skater, Biker und Golfer, Touristen und Mütter mit ihren Buggys. Ein kleines Motorboot fuhr steuerbord an ihnen vorbei. Ein paar Kinder mit Schwimmwesten winkten. Er winkte zurück.
Belinda hatte unzählige Berechnungen angestellt, aber in Wahrheit war die Operation gar nicht so kompliziert. Die wichtigsten Variablen waren Luftfeuchtigkeit, Windrichtung und die Entfernung des Bootes zum Ufer. Der Druck der Wasserkanone war vorgegeben, ebenso wie der Flugbogen – optimal ausgerichtet für die Verteilung des Tröpfchenschleiers. Je näher sie dem Ufer kamen, desto größer wurde ihre Eindringtiefe, und desto mehr Menschen wurden erfasst. Der Wind war jedoch die kritischste Variable, weil er sich nicht verändern durfte und aus einer von zwei Richtungen kommen musste: entweder Nordosten oder Südwesten. Sobald er sich drehte, würden sie die Operation abbrechen müssen.
Das Boot fuhr in ungefähr nördlicher Richtung den Potomac hinauf. Das bedeutete, dass sie sich, falls der Wind aus Nordosten kam, so weit wie möglich dem Ufer auf der Virginiaseite annähern und ihre Ladung auf das Pentagon abfeuern würden. Wenn der Wind jedoch aus Südwesten wehte, so wie heute, mussten sie dicht an das Ufer auf der Seite des Regierungsviertels ranfahren und ihre Munition in die Luft zwischen Washington Monument und Lincoln Memorial abschießen.
Falls die Eindringtiefe ausreichte, würde der Sprühschleier sogar das Weiße Haus erreichen, und der Präsident würde anfangen zu niesen, so wie alle anderen. Das wäre natürlich zum Schreien komisch, aber Tommy hätte lieber das Pentagon eingenebelt. Schließlich war es nur ein Testlauf, und ihm gefiel die Vorstellung, die Militärs mal ordentlich aufzumischen.
Trotzdem hatten sie ein paar gute Ziele, auch wenn der Wind aus Südwesten kam. Sie würden in Höhe der Brücke, über die die 14 th Street führte, anfangen zu sprühen. Damit deckten sie alles zwischen dem Jefferson Memorial und dem Kennedy Center ab. Beispielsweise das Vietnam Veterans Memorial und die Sportanlagen hinter dem Tidal Basin.
Ein Supercoup, wenn es nicht bloß ein Test wäre.
Als sie die Brücke erreichten, auf der sich der Verkehr staute, ging Tommy nach achtern, um die Sprühkanone bereitzumachen. Während Belinda das Boot steuerte, zeigte er Vaughn genau, was er zu tun hatte, dann ging er nach unten und schaltete alles ein.
Und es funktionierte absolut perfekt. Man konnte den Strahl kaum sehen, so fein war der Nebel. Er schoss in einem hohen Bogen in den Himmel und verschwand dann, einen Regenbogen zurücklassend. »Es klappt, Mann!«
Belinda lachte, und Vaughn sagte das, was er immer sagte, wenn er begeistert war: »Junge, Junge.«
Aus Freude über den Erfolg hob Tommy spontan die rechte Hand, damit Vaughn es ihm gleichtat.
Vaughn hielt die flache Hand dicht neben das Gesicht, als wollte er auf die Bibel schwören, und als Tommy ihm klatschend auf die Handfläche schlug, wippte die Hand nach hinten, schlaff wie ein Handschuh.
So ein Vollidiot, dachte Tommy, der Typ hat wirklich von nix eine Ahnung.
16
Es war Annies Idee gewesen, auf der Mall zu joggen.
Normalerweise lief er direkt am Fluss entlang oder durch den Rock Creek Park, aber die breiten Spazierwege auf der Mall waren eine nette Abwechslung – wenn auch ein wenig übervölkert. Und man konnte sich bequem unterhalten, weil man nicht bei Steigungen außer Atem geriet.
Er mochte die Art, wie Annie lief. Wenn sie ging, wirkte sie ein wenig linkisch, wie ein verlegenes Schulmädchen, das vor die Klasse gerufen worden war. Aber ihr Laufstil war ganz anders. Sie bewegte sich leicht und anmutig, und ihre langen Beine glitten wie schwerelos über den Boden.
Als sie das Lincoln Memorial erreichten, sprinteten sie
Weitere Kostenlose Bücher