Das erste Gesetz der Magie - 1
um nicht loszuheulen.
Richard fuhr ihr durchs Haar. »Dann bis morgen, Kleine.«
Und schon war er verschwunden. Sie war allein mit Kahlan. Sie preßte die Augen fest zusammen, sie mußte tapfer sein und durfte nicht weinen. Aber dann tat sie es doch.
Kahlan drückte sie fest an sich. Rachel zitterte. Finger strichen ihr durchs Haar. Kahlan wiegte Rachel, die dabei auf eine dunkle Lücke zwischen den Ästen auf der anderen Seite der Launenfichte starrte. Kahlans Brust machte seltsame, kleine Bewegungen. Rachel merkte verwundert, daß auch sie weinte. Kahlan schmiegte ihre Wange an Rachels Kopf. Fast begann sie zu glauben … doch dann fiel ihr ein, was Prinzessin Violet manchmal sagte, daß strafen mehr schmerzte, als bestraft zu werden. Voller Entsetzen überlegte sie, was Kahlan im Sinn hatte, daß sie so weinte. Nicht einmal Prinzessin Violet weinte, wenn sie jemanden bestrafte. Rachel weinte bitterlich und fing an zu zittern.
Kahlan ließ sie los und wischte sich die Tränen von den Wangen. Rachel war zu wackelig auf den Beinen, um wegzulaufen.
»Ist dir kalt?« flüsterte Kahlan. Ihre Stimme klang, als weinte sie noch immer.
Rachel hatte Angst, sie würde auf jeden Fall geschlagen werden, ganz gleich, was sie sagte. Sie nickte und war auf alles vorbereitet. Statt dessen nahm Kahlan eine Decke aus ihrem Bündel und wickelte sie um die beiden. Vermutlich, um ihr die Flucht zu erschweren.
»Komm, leg dich her. Ich erzähle dir eine Geschichte. Wir wärmen uns gegenseitig, einverstanden?«
Rachel lag mit dem Rücken zu Kahlan, die sich um sie schmiegte und einen Arm über sie legte. Das war angenehm, aber ein Trick, das wußte sie. Kahlans Gesicht war dicht an ihrem Ohr, und während sie so dalagen, erzählte Kahlan ihr eine Geschichte von einem Fischer, der sich in einen Fisch verwandelte. Die Worte formten Bilder in ihrem Kopf, und für eine Weile vergaß sie ihre Sorgen. Einmal lachten Kahlan und sie sogar zusammen. Als sie mit der Geschichte fertig war, gab Kahlan ihr einen Kuß auf den Kopf und streichelte ihr über die Schläfen. Sie tat, als wäre Kahlan in Wirklichkeit gar nicht gemein. So tun als ob konnte nicht schaden. Noch nie hatte sich etwas so schön angefühlt wie diese Finger und das Lied, das Kahlan ihr ins Ohr sang. So mußte es sein, wenn man eine Mutter hat.
Gegen ihren Willen schlief sie ein und hatte wunderbare Träume.
Mitten in der Nacht, als Richard Kahlan weckte, wachte sie auf, tat aber weiter so, als würde sie schlafen.
»Willst du weiter bei ihr schlafen?« flüsterte er ganz leise.
Rachel hielt den Atem an.
»Nein«, antwortete Kahlan flüsternd, »ich übernehme die Wache.«
Rachel hörte, wie sie ihren Umhang überzog und nach draußen ging. Sie lauschte, in welche Richtung Kahlans Schritte sich entfernten. Richard tat noch etwas Holz ins Feuer, dann legte er sich dicht neben ihr hin. Sie sah, wie es unter der Fichte heller wurde. Richard beobachtete sie, sie spürte seinen Blick in ihrem Rücken. Gerne hätte sie ihm erzählt, wie gemein Kahlan in Wirklichkeit war, und ihn gebeten, mit ihr fortzulaufen. Er war so nett, es gab nichts Schöneres auf der ganzen Welt, als wenn er einen drückte. Er zog die Decke um sie fester, stopfte sie unter ihr Kinn. Rachel wartete, bis sie seinen gleichmäßigen Atem hörte und wußte, daß er eingeschlafen war. Dann schlüpfte sie unter der Decke hervor.
36. Kapitel
Kahlan drehte sich erwartungsvoll um, als er sich, einen Ast zur Seite schlagend, einen Weg unter die Launenfichte bahnte und sich vor dem Feuer zu Boden fallen ließ. Er zerrte sein Bündel heran und begann, irgendwelche Dinge hineinzustopfen.
»Und?«
Richard warf ihr einen wütenden Blick zu. »Ich habe ihre Spuren gefunden, nach Westen, den Weg zurück, den wir gekommen sind. Hundert Meter weiter stoßen sie auf den Pfad. Sie sind mehrere Stunden alt.« Er deutete auf den Boden hinten in der Launenfichte. »Dort ist sie raus. Sie hat uns in großem Abstand umkreist. Ich bin schon Männern gefolgt, die nicht gefunden werden wollten, und deren Spuren waren leichter zu verfolgen gewesen. Sie geht über Wurzeln und Steine und ist oft zu klein, um einen Abdruck zu hinterlassen. Hast du ihre Arme gesehen?«
»Die langen Striemen, ja. Sie stammen von einer Rute.«
»Nein, ich meine die Kratzer.«
»Ich habe keine Kratzer gesehen.«
»Eben. Ihr Kleid war ganz zerrissen, sie muß durch Dornengestrüpp
gekommen sein. Aber auf den Armen hatte sie keinen einzigen
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