Das erste Gesetz der Magie - 1
überging. Zu seiner Verwunderung hatte er herausgefunden, daß er nicht etwa herunterrutschte, wenn sie sich in eine Kurve legte, sondern noch fester an sie gedrückt wurde. Das Fliegen war für Richard eine ebenso aufregende wie angsteinflößende Erfahrung. Unter ihm spannte sich die Muskulatur, wenn sie die Luft mit ihren mächtigen Schwingen schlug und mit jedem Schlag an Höhe gewann. Wenn sie ihre Flügel zusammenklappte und Richtung Erdboden tauchte, traten ihm vom Wind die Tränen in die Augen, stockte ihm der Atem, und sein Magen kletterte in seinem Innern empor. Schon die Vorstellung, auf einem Drachen zu reiten, war für ihn ein Wunder.
»Kannst du sie sehen?« rief er über das Geräusch des Windes hinweg.
Scarlet bejahte mit einem Grunzen. Im schwächer werdenden Licht wirkten die Gars wie schwarze Punkte, die sich über das felsige Gelände tief unten bewegten. Kräuselnd stieg Rauch von den Feuerquellen auf, und selbst in dieser Höhe konnte Richard die beißenden Dämpfe riechen. Scarlet stieg steil in die Höhe, dann kippte sie in einer steilen Rechtskurve nach unten weg.
»Es sind viel zu viele«, rief sie nach hinten.
Sie drehte den Kopf und linste ihn aus einem ihrer gelben Augen an. Richard zeigte nach vorn.
»Geh dort runter, hinter diesen Hügeln, und gib acht, daß sie uns nicht sehen.«
Scarlet stieg mit kräftigen Stößen höher. Als sie höher waren als je zuvor, glitt sie fort von den Feuerquellen. Sie stieß zwischen felsigen Hängen hinab und flog, sich zwischen ihnen hindurchschlängelnd, zurück zu der Stelle, wo sie nach Richards Angaben landen sollte. Mit leisem Flügelschlag setzte sie sanft neben einer Höhlenöffnung auf und senkte ihren Hals, damit er absteigen konnte. Offenbar wollte sie ihn nicht länger als nötig auf dem Rücken haben.
Ihr Kopf schwenkte zu ihm herum. Ihre Augen waren wütend, ungeduldig. »Es sind zu viele Gars. Darken Rahl weiß, daß ich gegen sie keine Chance habe, sollte ich mein Ei jemals finden. Du hast gesagt, du würdest dir etwas einfallen lassen. Was hast du für einen Plan?«
Richard warf einen Blick auf die Öffnung der Höhle. Shadrins Höhle, wie Kahlan ihm verraten hatte. »Wir brauchen etwas, um sie abzulenken, während wir das Ei holen.«
»Während du das Ei holst«, korrigierte Scarlet und unterstrich ihren Standpunkt, indem sie eine kleine Stichflamme spuckte.
Er sah zur Höhle hinüber. »Ich habe gehört, die Höhle reicht durch den Berg bis zu der Stelle, wo das Ei sich befindet. Vielleicht kann ich hindurch gehen, das Ei stehlen und hierherbringen.«
»Dann los.«
»Sollten wir nicht darüber reden, ob die Idee gut ist? Vielleicht fällt uns noch etwas Besseres ein. Außerdem habe ich gehört, die Höhle sei möglicherweise bewohnt.«
Scarlet beäugte ihn verärgert. »Die Höhle soll bewohnt sein?«
Sie schob ihren Kopf bis vor die Höhlenöffnung und jagte einen entsetzlichen Feuerstoß in die Dunkelheit. Ihr Kopf kehrte zurück. »Jetzt nicht mehr. Geh jetzt und hol mein Ei.«
Die Höhle war meilenlang. Richard wußte, wer weiter hinten in der Höhle lebte, dem hatte der Feuerstoß nichts anhaben können. Aber er hatte Scarlet sein Wort gegeben. Er sammelte Schilfrohre, die in der Nähe wuchsen, und band sie mit Farn zu mehreren Garben zusammen. Scarlet beobachtete ihn, als er ihr eine davon hinhielt.
»Würdest du das hier für mich anzünden?«
Der Drache schürzte die Lippen und blies einen dünnen Feuerstrahl über das Ende der Schilfrohre.
»Du wartest hier«, sagte er.
»Manchmal ist es besser, klein zu sein. Mich entdeckt man nicht so leicht. Ich werde mir etwas einfallen lassen, das Ei holen und es durch die Höhle hierherschaffen. Der Weg ist weit. Vielleicht bin ich erst morgen früh zurück. Ich weiß nicht, wie dicht die Gars mir auf den Fersen sein werden. Es kann also sein, daß wir schnell verschwinden müssen. Halte die Augen offen, ja?«
Er hängte seinen Rucksack über einen Dorn auf ihrem Rücken.
»Bewahr das für mich auf. Ich möchte nicht mehr mitschleppen als unbedingt nötig.«
Richard hatte keine Ahnung, ob ein Drache ein besorgtes Gesicht machen konnte, aber es sah ganz danach aus.
»Sei vorsichtig mit dem Ei. Das Kleine wird bald schlüpfen. Wenn die Schale vor der Zeit bricht…«
Richard versuchte, sie mit einem Lächeln zu beruhigen.
»Keine Sorge, Scarlet, wir bekommen es zurück.«
Sie folgte ihm schwankenden Schritts bis zum Höhleneingang,
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