Das erste Gesetz der Magie - 1
stellte fest, daß er sich in Gedanken auf Dennas Zopf konzentrierte. Er ließ es geschehen. Hauptsache, es funktionierte, redete er sich ein. Er konnte Michael nicht töten und riskieren, von all den Männern draußen gefangengenommen zu werden. Er durfte Michael nicht einmal sagen, was er wußte. Das führte zu nichts und würde nur andere in Gefahr bringen.
Er atmete tief durch und zwang sich zu einem Lächeln. »Nun, Hauptsache, das Kästchen ist in Sicherheit. Das allein zählt.«
Ein Teil der Farbe kehrte in Michaels Gesicht zurück, und er fing an zu lächeln. »Richard, wie geht es dir? Du … hast dich verändert. Du siehst aus, als hättest du … eine Menge durchgemacht.«
»Mehr als du dir vorstellen kannst, Michael.« Er ließ sich auf dem Feldbett nieder. Michael ging zögernd wieder zu seinem Stuhl. In seinen weiten, weißen Hosen, dem Hemd und dem goldenen Gürtel um seine Hüften sah er aus wie ein Jünger Darken Rahls. Richard bemerkte die Karten, die sein Bruder betrachtet hatte. Karten von Westland. Für Darken Rahl. »Ich war in D’Hara, genau wie Zedd dir erzählt hat, aber ich bin geflohen. Wir müssen fort von D’Hara. So weit fort wie möglich. Ich muß die anderen finden, bevor sie dort nach mir suchen. Du kannst deine Männer jetzt zurückziehen, die Armee zurückbringen und Westland beschützen. Ich danke dir, Michael, daß du gekommen bist, um mir zu helfen.«
Das Lächeln seines Bruders wurde breiter. »Du bist schließlich mein Bruder. Was hätte ich sonst tun sollen?«
Richard zwang sich zu einem Lächeln, obwohl der Haß glühend heiß in ihm brannte. In mancherlei Hinsicht war es schlimmer, als wäre Kahlan die Verräterin gewesen. Mit Michael war er aufgewachsen, sie waren Brüder und hatten einen großen Teil ihres Lebens zusammen verbracht. Er hatte Michael immer bewundert, ihn immer unterstützt, ihm seine bedingungslose Liebe geschenkt. Er mußte daran denken, wie er vor anderen Jungen mit seinem großen Bruder geprahlt hatte.
»Michael, ich brauche ein Pferd. Ich muß aufbrechen. Jetzt sofort.«
»Wir werden dich alle begleiten. Meine Männer und ich.« Sein Grinsen wurde noch breiter. »Jetzt, wo wir wieder zusammen sind, lasse ich dich nicht mehr aus den Augen.«
Richard sprang auf. »Nein!« Er zwang sich, ruhiger zu sprechen. »Du kennst mich, ich bin es gewohnt, allein durch die Wälder zu streifen. Das kann ich am besten. Du würdest mich nur aufhalten. So viel Zeit habe ich jetzt nicht.«
Michael stand auf. Sein Blick wanderte zur Zeltöffnung. »Kommt überhaupt nicht in Frage. Wir sind…«
»Nein. Du bist Oberster Rat von Westland. Du mußt das Land beschützen, das ist deine erste Pflicht, nicht das Behüten deines kleinen Bruders. Bitte, Michael, führe die Armee nach Westland zurück. Ich komme zurecht.«
Michael rieb sich das Kinn. »Vermutlich hast du recht. Natürlich sind wir nur nach D’Hara gezogen, um dir zu helfen, und jetzt, wo du in Sicherheit bist…«
»Danke, daß du gekommen bist, Michael. Ich werde mir selbst ein Pferd aussuchen. Geh wieder an deine Arbeit.«
Richard kam sich vor wie der größte Narr aller Zeiten. Er hätte es wissen müssen. Er hätte schon vor langer Zeit darauf kommen müssen. Er mußte an die Rede denken, die Michael über das Feuer, den Feind der Menschen, gehalten hatte. Da schon hätte er Bescheid wissen müssen. Kahlan hatte ihn an jenem ersten Abend warnen wollen. Ihre Vermutung, daß Michael auf Rahls Seite stand, war richtig gewesen. Hätte er bloß auf seinen Kopf gehört statt auf sein Herz. Das erste Gesetz der Magie: die Menschen sind dumm, sie glauben, was sie glauben wollen. Und er war der Dümmste von allen gewesen. Er ärgerte sich zu sehr über sich selbst, als daß er wütend auf Michael hätte sein können.
Durch seine Weigerung, die Wahrheit zu sehen, würde er alles verlieren. Er hatte keine Wahl mehr. Er hatte den Tod verdient.
Ohne die feuchten Augen von Michael abzuwenden, sank Richard langsam auf ein Knie und erbot den Gruß des Verlierers.
Michael stemmte die Hände in die Hüften und lächelte. »Das weißt du noch! Das ist schon lange her, mein kleiner Bruder.«
Richard stand wieder auf. »So lange auch wieder nicht. Einige Dinge ändern sich nie. Ich habe dich immer geliebt. Auf Wiedersehen, Michael.«
Richard dachte zum zweiten Mal kurz daran, seinen Bruder zu töten. Er würde es mit dem Zorn des Schwertes tun müssen, könnte sich aber niemals überwinden, Michael zu vergeben
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