Das Erste Horn: Das Geheimnis von Askir 1 (German Edition)
meinem Blick und landete auf ihrem eigenen Busen. Sie schaute wieder hoch und sah mir geradewegs in die Augen. »Mir ist kalt.«
»Dann solltet ihr Euch zur Ruhe begeben«, antwortete ich. Ich löste mich von dem verführerischen Anblick und begab mich hinüber zu dem kleinen Tisch. Dort lag aufgeschlagen ein kleines Buch mit sehr feinen Seiten, die Schrift tanzte vor meinen Augen, wand und umschlang sich selbst, so dass mir fast schwindelig wurde, als ich hinschaute.
Ich blinzelte und sah von dem Buch weg. »Ritualmagie? Ich dachte, heutzutage befasse man sich mehr mit unmittelbarer Einwirkung.«
»Ihr wisst eine Menge für einen alten Mann.«
»Das hat das Alter so an sich. Man schnappt hier und da etwas auf.«
Sie hatte sich die Bettdecke um ihren Körper geschlungen und tappte nun barfuß zu mir herüber, um dann an dem Tisch Platz zu nehmen. »Ritualmagie ist langsamer als unmittelbares Wirken.« Ihre Stimme war leise. »Aber sie ist ungleich mächtiger. Man kann andere Dinge mit ihr entfachen. Magie, die über eine längere Zeit Bestand hat.« Sie schloss das Buch, lehnte sich zurück und intonierte einen Sprechgesang, der so von gutturalen Lauten durchzogen war, dass ich um ihre Kehle fürchtete. Während der ganzen Zeit rührte ich mich nicht. Ich wusste nicht, was sie tat, und wollte sie weder ablenken noch aus Versehen in den Wirkungsbereich dessen gelangen, was sie gerade erschuf.
Für einen Moment wurde es dunkler im Raum, die Kerze verlöschte fast, sogar das Feuer im Kamin sank etwas in sich zusammen, und unnatürliche Kälte ließ mich frösteln. Ich verspürte den üblichen Druck auf den Schläfen, dann wie er wieder verschwand.
»Fertig«, sagte sie und lehnte sich erschöpft zurück.
»Was war das?«
»Ich habe die Tür geschlossen. Niemand wird sie vor dem Morgengrauen öffnen können.«
»Auch ich nicht?«
Mit immer noch geschlossenen Augen schüttelte sie den Kopf. »Niemand. Außer mir. Erst wenn ich die Tür berühre, ist der Spruch aufgehoben.«
Ich bewegte mich zur Tür hinüber und rüttelte an ihr. Das hieß, ich versuchte an ihr zu rütteln. Sie bewegte sich nicht. Ich klopfte gegen das Holz: Die Resonanz war in etwa so, als hätte ich eine Steinplatte berührt.
»Beeindruckend.« Ich sah zu ihr hinüber. Sie saß zurückgelehnt da, die Augen geschlossen, den Kopf in den Nacken gelegt. An ihrem Hals konnte ich die kleine Wunde sehen, die ich ihr vorhin zugefügt hatte.
»Lernt man das in den Tempeln?«
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Ritualmagie wird kaum noch verwendet. Sie erfordert zu viel Konzentration.«
Ich ging zu meinem, unserem Bett und setzte mich auf die Strohmatratze. Der Wirt hatte sich Mühe gegeben: Das Seil unten am Rahmen war fest verspannt, die Matratze frisch gefüllt.
Das Ganze war um die Hälfte breiter als mein altes Bett und füllte den Raum deutlich mehr aus. Am Fußende sah ich meinen Packen, daneben den ihren. Ihrer war deutlich größer als meiner, was mich kaum wunderte, denn ich war es seit langer Zeit gewohnt, leicht bepackt zu reisen. An der Wand befanden sich stabile Haken, dort hatte sie sorgfältig ihre Rüstung und Kleidung aufgehängt. Ihre wollenen Untersachen hingen über dem Kaminschirm, nahe genug, um bis zum Morgen trocken zu sein, weit genug weg, dass sie nicht entflammten.
Die Kerze auf dem Tisch, das Flackern des Feuers im Kamin, ihre Sachen hier im Raum verteilt, letztlich sie in einem dünnen Nachthemd, Wärme suchend in eine Decke gehüllt, barfuß: All das berührte mich seltsam.
Ich lehnte mich auf dem Bett zurück. Es war vielleicht möglich, mit ihr zusammen zu schlafen, ohne sie zu berühren, aber ich glaubte nicht daran.
Trotz des Feuers war es kühl im Raum. Die Kälte wartete außerhalb der Mauern, und im Laufe der Nacht würde sie sich einschleichen, immer tiefer eindringen in das, was wir Menschen Zuflucht nannten.
Schon jetzt hatten sich an der Außenwand feine Kristalle gebildet. Kälte und Hitze hatten etwas gemeinsam, beide breiteten sich auch durch Mauern hindurch aus.
Ich ging zum Fenster hinüber und schob das schwere Leder des Wintervorhangs zur Seite. Der Fensterladen war, wie alles in diesem Gasthof, solide und von bester Qualität. Alt, aber hervorragend verarbeitet. Die Angeln bestanden aus Messing, Eisenbänder verstärkten den Laden, in der Mitte gab es eine senkrechte Klappe, eine Schießscharte für eine Armbrust, ebenfalls mit Hanf und Talg gegen die Kälte abgedichtet. Alles war von
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