Das Erste Horn: Das Geheimnis von Askir 1 (German Edition)
einer hauchdünnen Eisschicht überzogen. Hier in der Fensternische, in dem Raum zwischen dem Holz des Fensterladens und dem schweren Ledervorhang, sammelte sich die Kälte wie ein Tier, das auf sein Opfer lauerte.
»Was denkt Ihr?«, fragte sie hinter mir. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, ich nahm sie wahr, roch sie, den Rosenduft und das, was sie war. Ich lehnte die Stirn gegen den Fensterladen und spürte die Kälte des Holzes.
»Ich frage mich, wie es dazu kam, dass wir uns alle an diesem Ort befinden. Hier und jetzt.«
Ich löste mich vom Fenster, verschloss den ledernen Vorhang sorgfältig und sah sie an.
»Ist es von Belang?«, fragte sie. »Meine Reise war umsonst, Ihr seid nicht der, den ich suchte. Also werde ich meinen Weg ohne Euch fortsetzen. Dieser Ort ist nur eine Station.«
Ich begab mich zu meinem Packen am Fußende des Betts, öffnete ihn und wühlte eine Weile darin, bis ich fand, was ich suchte. Mit meinem Messer öffnete ich das Siegel am Deckel des Holzzylinders und zog die bronzefarbene Flasche sorgfältig aus ihrem Bett aus Stroh. Wie lange hatte ich diese Flasche mit mir herumgetragen? Zehn Jahre, zwanzig? Ich wusste es nicht mehr, es schien, als hätte ich sie schon ewig gehabt. Zwei Zinnbecher fanden sich auch noch. Mit ihnen und der Flasche in der Hand begab ich mich zum Tisch und nahm neben Lea Platz. Als ich die Flasche und die Becher auf den Tisch stellte, musterte sie diese mit sichtbarer Überraschung, dann sah sie zu mir herüber. »Ich dachte, Ihr mögt kein weibisches Geschwätz?«
»Ihr müsst ja nicht schwätzen.«
Ich betrachtete die Flasche. Das bronzefarbene Glas verriet ihre Herkunft – nur an einem Ort der Weltenscheibe wurde in diese Flaschen abgefüllt.
»Ortenthaler Elfenwein?«, fragte sie und hob eine Augenbraue. »Welch überraschende Kostbarkeit.«
»Ihr mögt keinen Wein?«
»Das habe ich nicht gesagt.« Sie musterte mich. »Wie komme ich zu dieser Ehre?«
Ich löste mit meinem Messer das Siegel am Korken und war vertieft in meine Arbeit, während ich überlegte, was und vor allem wie ich ihr antworten sollte. Vorsichtig drehte ich den Korkenhaken ein und entkorkte die Flasche. Sogleich erreichte der Geruch des schweren Weins meine Nase.
Die Legende besagte, dass die Elfen wie alle Rassen nicht von dieser Weltenscheibe stammten. In ihrer Heimat soll es Wein gegeben haben, so gut und schwer, dass er die Götter selbst neidisch machen konnte. Ein Wein mit magischen Eigenschaften, ein Wein so vorzüglich, dass ein Sterblicher, der davon trank, süchtig wurde nach diesem Tropfen.
Die Legende besagte auch, dass ein paar wenige Trauben mit den Elfen gekommen wären, und eine einzige Rebe entsprang ihnen, und dieser einzigen Rebe wiederum entsprangen die Weinfelder des Ortenthals. Vor langer Zeit war ich selbst einmal dort gewesen und hatte die Trauben mit eigenen Augen gesehen. Der Hang schien von flüssigem Gold eingehüllt, jede der Trauben leuchtete in einem goldenen Licht, als habe sie selbst die Kraft der Sonne aufgesogen. Man sagte, dass die Reben außerhalb des Ortenthals nicht wachsen könnten, man sagte auch, dass es die Magie der Elfen sei, mit der sie diesen Ort segneten, auf dass dieser Wein dort gedieh. Man sagte überhaupt eine Menge über Elfen.
Auf jeden Fall war der Wein vorzüglich und fand sich meist nur an der Tafel von Fürsten, Königen und reichen Äbten.
»Seht es als Entschuldigung an«, bat ich, als ich ihr einschenkte. Der Wein floss schwer und träge in das Glas, eine goldene Flüssigkeit, die meinen müden Augen kleine goldene Sterne vorgaukelte, ein feines, goldenes Licht, das den Becher füllte.
Vielleicht war es keine Einbildung, denn meist trank ich diesen Wein an Orten, an denen es hell war. Vielleicht war es mir bisher nur noch nie aufgefallen.
Schweigend sah sie zu, wie ich auch mir einschenkte und anschließend die Flasche wieder sorgsam verkorkte.
Ich hob meinen Becher und sah sie an. Einen Moment nur zögerte sie, dann ergriff sie ihren. Mit einem leisen Klang berührten sich unsere zinnernen Gefäße.
»Auf dass Eure Reise weitergeht, Sera Maestra, und Ihr am Ende Eures Wegs Frieden findet.«
Sie nickte und nahm einen Schluck. Während ich trank, spürte ich, wie das flüssige Gold meine Kehle herunterrann und meinen Gaumen mit einem längst vergangenen Sommer füllte. Ich beobachtete fasziniert, wie sie schluckte. Es gab keinen Zweifel, zu lange schon war ich nicht mehr in so bezaubernder Gesellschaft
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