Das Erste Horn: Das Geheimnis von Askir 1 (German Edition)
gewesen.
»Was bedrückt Euch, Havald?« Ihre Augen waren fragend und aufmerksam auf mich gerichtet.
»Ich befürchte, dass dieser Sturm das Ende von vielen hier im Gasthof bringen wird.« Ich setzte das Glas ab, stand auf und begann mich meiner Rüstung und meines Obergewands zu entledigen. Mein Kettenmantel, schwer und ungeschlacht neben dem feinen Mithril ihrer Kette, landete an dem Haken neben dem ihren. Wahrhaft ein Kontrast: grob und schwarz meine Rüstung, flüssiges blaues Metall die ihre. Auch mein Lederwams wirkte alt und verbraucht neben ihrem. Wir waren gleicher Art gerüstet, und beide mochten wir gleichermaßen sorgfältig hergerichtet sein, doch ließ sich der Unterschied nicht verleugnen.
Eine Rüstung war für mich etwas Praktisches. Sie musste nicht schön sein, es käme mir gar nicht in den Sinn, eine andere Schönheit als die der Handwerkskunst in ihr zu suchen. Aber ihre Rüstung … Nicht nur, dass sie schützender war als meine, sie schmückte zugleich. Es schien, als könne es nicht anders sein, als müsse die Sera derart gewandet werden, als müsse man sie mit schönen Dingen schmücken. Maestra der arkanen Künste mochte sie sein, vielleicht eine mächtige Magierin, aber es war der uralte Zauber der Weiblichkeit, der mich hier berührte. Mich, der sich immun dagegen glaubte.
Ich entledigte mich meines Wamses. Mein Hemd, aus einfachem Leinen, war nicht mehr sauber, sondern verschwitzt und fleckig. Wie kam es, dass ein Mann dies nicht wahrnahm, bis der Blick einer Frau auf ihm ruhte? Ich zog das Hemd aus – ich hatte noch ein frisches in meinem Packen –, als sie überrascht die Luft durch die Zähne zog.
»Was ist?«
»Ich sehe gerade Eure Narben«, sagte sie, blickte zu mir hoch, dann weg von mir, in ihren Becher. »Ich hätte nicht gedacht, dass man solche Wunden überlebt.«
Ich zuckte mit den Schultern. Die meisten von ihnen waren alt, so alt, dass ich mich kaum erinnerte, woher sie stammten. Was Narben anging, waren sie besser als die meisten, nur feine weiße Striche, nicht dicke Wülste, wie das Handwerk eines Feldschers sie so gerne auf dem Fleisch zurückließ. Nur selten schmerzten oder behinderten sie mich, ich vergaß sie leicht.
»Wie alt, sagtet Ihr, seid Ihr?«, fragte sie mich.
»Ich erwähnte mein Alter nicht«, entgegnete ich ihr mit einem Lächeln. »Aber es ist gut das dreifache des Euren.«
»Menschen werden nicht so alt. Ihr seht nicht viel älter aus als vier Dutzend und zwei. Selbst dafür seid Ihr gut erhalten. Nicht so zerbrechlich, wie Ihr mich glauben ließet.«
»Es kommt auf das Leben an, das man führt.« Ich nahm das frische Hemd aus dem Packen und fühlte mich insgeheim erleichtert, dass es tatsächlich sauber war. Nicht mein Verdienst: Eine Magd im letzten Gasthof, in dem ich länger verweilt hatte, hatte mir meine Kleidung gewaschen, als Dank dafür, dass ich sie von einem schmerzenden Zahn erlöste.
»Es ist nicht jenes Alter, das man in seinen Knochen spürt, das wirklich zählt, sondern das, welches hier und hier lastet.« Ich berührte Herz und Stirn. In meinem Körper fühlte ich mich schon lange alt, was ich vor allem meinen Knochen zu verdanken hatte.
»Warum glaubt Ihr, dass hier Leute sterben werden?«
»Abgesehen von den Söldnern?«, fragte ich mit einem schiefen Lächeln.
Sie nickte. »Abgesehen von den Söldnern.«
Ich begab mich zurück zum Tisch und setzte mich hin. Meine Schritte wirkten seltsam leicht ohne das Gewicht des schweren Kettenhemds. Ich rollte meine Schultern und streckte mich, bevor ich mich wieder ihr widmete, ihr und dem Wein.
»Vor langer Zeit war ich schon einmal eingeschneit.« Ich schloss die Augen und sah jenen Ort wieder vor mir, als wäre es gestern gewesen und nicht ein Menschenleben her.
»Damals stand ich im Dienst des Grafen von Bertenstein. Es gab eine kleine Streitigkeit aufgrund der Mitgift seiner Tochter, ein Landgut, welches seiner Familie noch nominal gehörte, aber schon lange nicht mehr genutzt wurde. Die Bauern dort hatten ein lokales Recht. Wenn ein Herr seine Besitzungen für zwanzig Jahre nicht betrat, fielen diese an den Pächter.«
»Scheint sinnvoll. Es zwingt den Herrn, sich um seinen Besitz zu kümmern«, sagte sie.
Ich lächelte. »Ihr seid eine Rebellin, Sera.«
Sie lächelte zurück, und ich nahm zum ersten Mal die Perlenreihe ihrer Zähne wahr. Hastig führte ich meinen Becher zu den Lippen und nahm einen weiteren Schluck des goldenen Weins. »Abgesehen von seinem Besitz
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