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Das erste Jahr ihrer Ehe

Das erste Jahr ihrer Ehe

Titel: Das erste Jahr ihrer Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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weiterentwickeln will. Im Übrigen hätte ich gerade von Ihnen als Arzt eine andere Haltung erwartet, Pat-rick.«
    »Nehmen wir doch mal die Kikuyu«, entgegnete Patrick. »Die sind ins zwanzigste Jahrhundert geholt worden – nicht wenige unter heftigem Protest. Vor der Ankunft der Briten lebten auch sie in einer geschlossenen Gesellschaft. Dann nahm man ihnen ihr Land, sie wurden in die Sklaverei gezwungen –«
    »Nicht Sklaverei«, nuschelte Arthur, der gerade mit den Zähnen einen Happen Brot abriss. »Dramatisieren Sie nicht.«
    »Dann eben in die Knechtschaft. Etwas anderes war es meiner Meinung nach nicht. Die Männer trieb es in Scharen in die Städte, weil sie dort europäische Löhne verdienen konnten, die für gewisse Kikuyu-Familien Fortschritt bedeuteten, obwohl sie an unseren Maßstäben gemessen lächerlich gering waren. Aber diese Familien, die weiterhin auf den Shambas lebten, hatten keine Väter und Brüder mehr zu Hause. In den Städten entstanden Elendsviertel, die Prostitution fasste Fuß, und die Struktur, die das Leben der Kikuyu trug, wurde an einer wesentlichen Stelle zerstört.«
    »Die Kikuyu sind die herrschende Kaste im Land und verdammt korrupt«, versetzte Arthur ziemlich heftig.
    »Wollen Sie behaupten, dass James, zum Beispiel, besser dran wäre, wenn er draußen auf der Shamba geblieben und niemals nach Nairobi gekommen wäre?«, fragte Diana herausfordernd.
    Mit ihrem Hinweis auf James hatte Diana die Diskussion effektiv abgewürgt. Patrick konnte nicht, wie er das sonst vielleicht getan hätte, entgegnen, dass James einundfünfzig Wochen im Jahr von seiner Frau und seinen Kindern getrennt ein trostloses Leben in einem Betonkasten fristete, um einer anderen Familie zu dienen. Einem Menschen in so einer Situation, hätte Patrick vielleicht vorgebracht, konnte man es nicht verübeln, wenn er sich fragte, worum es bei dem Mau-Mau-Aufstand eigentlich gegangen war und was genau uhuru hieß. Für James jedenfalls gewiss nicht Freiheit. Patrick griff zu seinem Weinbecher, anscheinend nicht willens oder fähig, ein weiteres Beispiel anzuführen, um ein Argument zu untermauern, dem die Briten und vielleicht auch die Holländer sowieso nie folgen würden.
    »Denys Finch Hatton ist hier irgendwo begraben«, sagte Saartje mit einer Geste in die ungefähre Richtung der Grabstätte von Karen Blixens Geliebtem. »Wir müssen auf jeden Fall zum Obelisk.«
    »Ein arroganter Schürzenjäger«, erklärte Arthur mit verächtlich herabgezogenen Mundwinkeln. »Wie der mit Tanne umgegangen ist, während sie hier war, das war hundsgemein.« Er redete, als hätte er die hundsgemeine Behandlung Karen Blixens selbst miterlebt, obwohl eine ganze lange Generation ihn von der Frau trennte.
    »Also ich würde das Grab gern sehen«, sagte Margaret.
    »Frauen«, sagte Arthur. »Hoffnungslose Romantikerinnen. Na schön, wenn einer geht, gehen wir alle«, verkündete er versöhnlich. »Wir müssen zusammenbleiben, wir sind schließlich ein Team.«
    »Ich würde die Stelle auch gern sehen.« Patrick stand auf. »Aber ich hoffe, ich darf mal ohne das Team pinkeln gehen«, sagte er und steuerte die nächste Baumgruppe an.
    »Wir schicken Ihnen die Mädels nach«, rief Willem und lachte über seine eigene Bemerkung.
    Mädels, dachte Margaret.
    Niemanden schien es zum Aufbruch zu drängen. Als Patrick zurückkehrte, nahm er einen grün-gelb-roten Drachen aus seinem Rucksack. Er befestigte den Schweif und spulte etwas Schnur von der Haspel ab. Dann rannte er los, um den Drachen hochzuziehen. Vom Wind aus dem Rift erfasst, begann er beinahe augenblicklich zu steigen. Anfangs taumelte er wild herum, ohne eine ruhige Bahn zu finden, doch dann trug der Wind ihn höher, und er kam mit langen, trägen Schwüngen ins Schweben. Sie sahen alle mit gereckten Hälsen zu. Patrick kam zurück und band die Leine an einem Bein seines Hockers fest.
    »Großartig«, sagte Arthur. »Die Kinder wären begeistert. Stimmt’s, Diana?«
    »Begeistert«, wiederholte sie.
    Fünfzehn, vielleicht zwanzig Minuten lang fotografierte Margaret den Drachen, die Landschaft, die Gruppe. Ein angenehmes Schweigen umfing sie alle. Patrick beobachtete den Drachen und gab gelegentlich etwas Leine nach. Arthur saß vorgebeugt, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und starrte in die Ferne. Willem, der ein wenig zu breit war für seinen Campinghocker, schien in der gleichen tranceähnlichen Stimmung zu sein wie die anderen. Er griff zu einer Weinflasche und

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