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Das erste Jahr ihrer Ehe

Das erste Jahr ihrer Ehe

Titel: Das erste Jahr ihrer Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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bewirtschafteten eine Sechs-Morgen-Shamba in Kitale und konnten ihn wegen der vielen Arbeit höchstens eine Woche im Jahr besuchen. Margaret hatte das schon gewusst, aber es erschütterte sie von Neuem.
    Nach dem Interview fragte Margaret Adhiambo, ob sie ein paar Aufnahmen von ihr machen dürfe.
    »Aber Sie dürfen mein Gesicht nicht zeigen«, sagte Adhiambo.
    Margaret überlegte.
    »Ich kann Sie ja bei irgendeiner Tätigkeit fotografieren, bei der Sie zu sehen sind, aber nicht Ihr Gesicht.«
    Adhiambo lächelte. Unten waren ihre Zähne schief, und zwischen den beiden Vorderzähnen klaffte eine Lücke, aber wenn sie lächelte, war sie schön.
    Draußen hatte sich eine Gruppe Kinder, alle zwischen fünf und sechs Jahren, um James geschart, der mitten unter ihnen hockte und eine Geschichte erzählte. Drei der Kinder hatten Säuglinge auf den Armen. Margaret rief James und fragte, ob sie ihn mit den Kindern fotografieren dürfe. Er stimmte zu, sagte den Kindern Bescheid, und Margaret stellte das Objektiv ein, um sie alle aufs Bild zu bekommen. Eben hatten sie noch gelacht und gekichert, doch als Margaret den Fotoapparat auf sie richtete, machten sie tiefernste Gesichter. Sie bemerkte, während sie weiter fotografierte, dass Rafiq fleißig auf seinen Block kritzelte. Vorsicht, Rafiq , dachte sie. Als ein Erwachsener vorüberkam, senkte sie ihren Apparat und tat so, als unterhielte sie sich mit James. Sie bat Adhiambo, ihre Wandbehänge herauszuholen, und Adhiambo breitete sie auf einem Busch vor ihrer Hütte aus. Im hellen Tageslicht zeigten sie sich völlig anders. »Haben Sie die Perlen auf den Stoff genäht?«, fragte Margaret.
    Adhiambo nickte.
    »Und den Stoff haben Sie gekauft?«
    »Nein, nein.« Sie wedelte mit den Händen. »Ich habe den Stoff selbst gemacht.«
    Margaret war beeindruckt. Der Stoff war nicht gebatikt, wie sie zunächst gedacht hatte, sondern handbemalt. Mit breiten, aber wohlgesetzten Strichen hatte Adhiambo Szenen gemalt, die Frauen beim Kochen zeigten und Kinder, die sich um andere Kinder kümmerten. Im ersten Moment nahm das Auge die Striche als abstrakte Linien wahr. Die Anordnung der Perlen in Messing und Schwarz trug zusätzlich zur Verwirrung des Betrachters bei. Und gerade das machte die überraschende Entdeckung der Figuren umso spannender. »Wo haben Sie das gelernt?«, fragte Margaret.
    »Ich habe es mir ausgedacht«, sagte sie.
    »Sie sind wunderbar.«
    Margaret machte von jedem Stück mehrere Aufnahmen und zwei von Adhiambo, während sie den größeren der Wandbehänge vor sich hielt. Auf dem Bild war ihr Gesicht abgewandt, aber ihr Profil war zu erkennen.
    Margaret hätte Adhiambo die Behänge am liebsten nicht in die Hütte zurückbringen lassen.
    »Warten Sie einen Moment«, rief sie.
    Adhiambo hielt inne.
    »Ich würde gern einen kaufen, wenn ich darf.«
    Adhiambo schien nicht zu verstehen und sah James Rat suchend an. James lachte. »Sie verkauft sie für hundert Schillinge das Stück«, sagte er.
    Zwölf Dollar. Ein Schnäppchen. Margaret holte das Geld aus ihrem Korb. Sie hatte fünfhundert Schillinge mitgenommen für den Fall, dass die Zeitung Rafiq die Zahlung doch nicht genehmigt hätte. Gäbe es doch vor der Hütte einen Platz, wo Adhiambo ihre Werke allen sichtbar ausstellen konnte.
    James neigte sich zu ihr und sagte: »Wir müssen jetzt gehen.«
    »Haben Sie Rafiq Bescheid gesagt?«, fragte Margaret.
    »Ja.«
    Sie verabschiedeten sich umständlich von Adhiambo. Margaret wünschte, sie hätte Moses eine Portion Fleisch zubereiten lassen, um sie Adhiambo mitzubringen. Nachdem sie sich alle ein letztes Mal verneigt hatten, traten sie den Rückweg an.
    »Die Askaris, die hier wohnen, kommen bald nach Hause«, bemerkte James. »Denen wird es nicht gefallen, wenn sie uns hier vorfinden.«
    Diesmal ging Rafiq voraus und James am Ende. Rafiq hatte seine Anzugjacke abgelegt; sein Hemd war hinten bis auf die Haut durchnässt. Sie hatten mindestens eine Stunde lang in der Mittagssonne gestanden, während James Geschichten erzählt und Margaret fotografiert hatte. Rafiq hatte in dieser Zeit eine Nachbarin interviewt, die ihn zu der Pumpe führte, an der Adhiambo ihr Wasser holte, und ihm dann den Weg zur Latrine beschrieb. Es war fast drei Uhr, und James erinnerte sie daran, dass die Askaris um diese Zeit Schichtwechsel hatten.
    »Das sind gar keine so schlechten Arbeitszeiten«, sagte Margaret. »Von sieben bis drei? Also drei Schichten von jeweils acht Stunden?«
    »Nein, nein«,

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