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Das erste Mal und immer wieder

Das erste Mal und immer wieder

Titel: Das erste Mal und immer wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moos
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ließ. Oben angekommen, packte mich das Grauen.
    Der Flur, die Räume waren völlig vergammelt und längst unbewohnbar. Es gab überhaupt keine Küche, kein Bad. Ich fragte mich, wo sie sich wusch oder kochte. Alles sah aus wie in einem ewig verschlossenen Dachboden, es war staubig, voller Laub und Dreck und Spinnweben. Mäuse suchten sich ihren Weg an den Zimmerecken entlang, und der Gestank war fast unerträglich.
    Und vor mir auf dem Boden, zwischen all diesem Dreck und diesem Durcheinander, standen die kleinen Plüschhausschuhe. Sie hatte sie in Klarsichtfolie gewickelt und unter eine Kommode gestellt. Nur ein Raum hatte eine noch funktionierende Tür, und die war geschlossen. Ich klopfte, rief leise. Nur die Katze antwortete, und ich war mir jetzt sicher, beide in diesem Zimmer zu finden. Sie musste tot sein.
    Ich ruckelte jetzt mutig an der Tür, aber sie war abgeschlossen. Ich rannte die Treppe runter und riss das Fenster meiner Schotte weit auf. Pfiff laut nach einem »Läufer«. Ich drückte ihm einen großen Geldschein in die Hand und beauftragte ihn, alle Plätze abzusuchen, wo sich der versoffene Bertie befinden könnte, und ihn herzubringen.
    Nervös wartete ich, und er kam schon 30 Minuten später um die Ecke. »Gott sei Dank, dass du da bist, Bertie. Wo warst du so lange?« – »Was issen los?«, fragte er mich mürrisch, »hab noch schön gepennt.«
    »Gitte ist tot«, schockte ich ihn, und das gelang mir. Er schien jetzt nüchtern und wach.
    »Waaas? Bist du sicher?«
    »Nein, die Tür ist abgeschlossen, aber sie war seit drei Tagen nicht mehr unten, und die Katze jault jämmerlich.«
    Wir gingen jetzt beide nach oben, und mein Herz hämmerte wieder. Er beauftragte mich, bestimmtes Werkzeug aus dem Schuppen vom Hof zu holen. Ich lief und holte, was er wollte. Wir öffneten die Tür. Da lag sie auf dem Sofa, dem einzigen heilen Möbelstück im Zimmer. Auch dieser Raum ähnelte im Zustand den anderen, aber er hatte Gardinen vor den kleinen Fenstern und einen kleinen Ofen. Der Tisch, der noch halbwegs auf drei Beinen an die Wand gelehnt stand, quoll von alten Zeitungen über. Sie war tot.
    »Die ist hin.« Bertie sprach es aus, und ich traute mich kaum hinzusehen. Sie lag auf dem Rücken, ihre Hose halb heruntergezogen, mit nackter Scham. Vielleicht wollte sie gerade pinkeln gehen, schoss es mir bescheuerterweise durch den Kopf. Die Augen offen, die Hände herunterfallend. Es gab keinen Trost in diesem Anblick, es war kein Frieden in ihrem Gesicht. Sie wirkte verkrampft und hilflos. Die Leichenstarre hatte längst eingesetzt, und ihr Körper sah blau und steif aus.
    »O Gott«, jammerte ich, »wieso habe ich nur so lange gewartet?« Ich hatte große Schuldgefühle und konnte mich selbst nicht begreifen, auf andere gehört zu haben, obwohl ich mir meines Gefühls so sicher war.
    »Keine Sorge«, sagte er jetzt, »das wussten wir lange schon, dass es sekündlich passieren könnte, und Hilfe war da auch sicher nicht mehr zu geben.« Er wirkte betroffen und verstört, tat mir leid, er hatte von ihr gelebt, und sie kannten sich viele, viele Jahre.
    Es war noch nicht 7.00 Uhr, und wir beschlossen, erst mal einen Augenblick zu überlegen, wie jetzt zu handeln war. Ich ließ die Katze aus dem Zimmer. Sie lief sofort auf den Hof, über die Mauer und war weg. Ihren Korb, eine »Katzenhöhle«, nahm ich mit runter in mein Zimmer. Da saßen wir nun und starrten entsetzt vor uns hin.
    »Sie muss noch Geld haben«, sagte er plötzlich und sprang auf.
    »Wir müssen die Polizei oder sonst wen rufen«, entgegnete ich. »Du kannst doch jetzt nicht nach Geld suchen.«
    Ich schüttelte mich. Das wäre ja Leichenfledderei.
    »Och, das steckt sich doch nur der Hausbesitzer ein«, entgegnete er schroff. »Diese miese Made, und dem steht es ja gar nicht zu. Und Verwandte hatte die Gitte ja nicht mehr. Es kam ja nie jemand zu ihr, sie war ja ausgestoßen. Mit der wollte doch niemand was zu tun haben!«, polterte er weiter, und in gewisser Weise verstand ich ihn.
    »Wieso hast du ihr eigentlich niemals die Wohnung etwas hergerichtet?«, fragte ich.
    »Das wollte die ja nie, ich habe es ja tausendmal versucht, der war ja nicht zu helfen.«
    Ich glaubte ihm aufs Wort, hatte ja oft genug Streitereien und Ähnliches miterlebt.
    »Also gut.« Ich ließ ihn gewähren, schließlich war er ihre Familie, und ich war sicher, sie hatte es genauso gewollt. »Aber beeile dich, bevor die anderen Frauen kommen, wir müssen bald

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