Das erste Mal und immer wieder
dauernd irgendwo an und beschwerte sich über dies und jenes, erstattete anonyme Anzeigen, schnüffelte, um sich darauf erneut anzubiedern, um an »Geheimes« heranzukommen Jede Information versuchte sie zu ihrem Vorteil auszuschlachten. Tagein, tagaus verbrachte sie in dem Wahn, ein Opfer zu sein, woanders hinzugehören, und verschrieb sich den Tagträumen. Redete von ihrer nahen Zukunft, was alles noch kommen sollte.
Sie erzählte ständig, schon bald würde sich ihr Leben von Grund auf verändern. Ja, sie quälte sich wirklich und war gequält. Aus diesem Grund quälte sie gleich alle anderen mit. Sie war ein echter Querulant. Vielleicht lag es auch an ihrem eingeschränkten jahrzehntelangen Leben hier auf der Straße. In dem ewig gleichen Zimmer, mit den gleichen Menschen jeden Tag. Ich merkte, dass die »Dummen«, wenn sie »nichts zu verlieren haben« und »der Neid größer als die eigene Ehre« wurde, sehr gefährlich werden können.
Das Angebot des Hausbesitzers stand.
Die Bedingungen waren schlicht und auf einem DIN-A4-Papier zusammengefasst. Ein festgelegter Monatsbetrag war als Pacht wöchentlich an ihn in bar auszuzahlen. Ansonsten wollte er nichts hören, nichts wissen und auch nichts sehen. Kein Pfennig würde von ihm zurück in das Haus fließen. Solange ich das Geld pünktlich und vollständig bringen würde, konnte ich schalten und walten, wie ich es für richtig hielt.
»Dies ist Ihr Zuhause, hier können Sie alt werden, wenn Sie wollen«, waren seine Worte, und er ging. Schon wollte er eine Entscheidung von mir, und in dieser Nacht schlief ich sehr wenig. Als Erstes rief ich Michi an.
Michael war Stadtangestellter, Mitte 30, blond mit pausbäckigem Bubengesicht, und er war verheiratet. Als Lehrling in die Frau des Chefs verknallt, hatte er als junger Bursche in die Ehe mit der 15 Jahre älteren Frau eingewilligt. Die Straße nutzte er oft als Abkürzung. Noch niemals war er ein Freier. der Huren hier gewesen. Meist stolperte er angetrunken an meinem Fenster vorbei, kam von einem »Spätbierchen mit Kumpels« und war auf dem Heimweg. Natürlich hatte ich keine Ahnung und klopfte eines Nachts gegen die Scheibe, als ich ihn mal wieder alleine vorbeischwanken sah. Er kam direkt an das Fenster und winkte ab.
»Wirklich, wirklich sehr sexy«, bewunderte er mich, »aber ich muss doch nach Hause und bin schon spät dran.« Mit diesen Worten wollte er weitergehen, doch ich hielt ihn zurück.
»Warte doch mal, hast du Feuer?« Ich hielt ihm bittend meine Zigarette hin und war noch nicht bereit, ihn »ziehen« zu lassen. Etwas Überredung brauchte man ab und an bei den Männern.
»Klar«, er wühlte nun in seinen Hosentaschen herum und fingerte das Gewünschte heraus. Er gab mir Feuer.
»O ja, Rauchen ist jetzt gut«, sagte er und zog nun einen Tabaksbeutel hervor. Er drehte immer selbst, hielt nichts von den »parfümierten Zigaretten«. Bat mich nun seinerseits, das Päckchen zu halten, während er den Tabak zusammendrehte. Einen Moment saugten wir schweigend an den Glimmstängeln. Dann fingen wir an zu sprechen, er fing an zu sprechen.
Aus heiterem Himmel erzählte er mir von seiner Ehe, dass sie am Ende wäre und er nicht wüsste, wie er das seiner Frau klar machen könnte, denn lieb hätte er sie ja schon noch. Es war schon ein eigenartiges Gespräch, was wir da mitten in der Nacht führten, und es fing an zu nieseln.
»Lust auf einen Kaffee?«, fragte ich ihn nun und deutete auf die fallenden Tropfen.
»O ja, gern«, antwortete er, und so kam er das erste Mal in mein Zimmer. Wir verstanden uns auf seltsame Art und Weise sofort gut. Wir plapperten die ganze restliche Nacht und tranken unzählige Liter Kaffee dabei. Ich erzählte ungeniert aus meinem Leben und er mir aus seinem. Wir waren irgendwie völlig verschieden und uns doch sehr ähnlich. In ihm schlummerte dieselbe sensible Seite wie in mir, fand ich. Es war wie Seelenverwandtschaft, es gab niemals, selbst nicht in dieser ersten Nacht, ein Gefühl der »Fremde« oder des »Kompromisses«. Er schneite einfach in mein Leben und war von der ersten Sekunde an »ein bester Freund«.
Es war wie bei Laura und Tanja, gleich stark, nur dass dies ein Mann war. Aber für uns spielte das keine Rolle. Wir fühlten uns in unserer Beziehung geschlechtslos, wir liebten uns platonisch, »nur über den Ohren«, nannten wir das. Es war eine sehr innige Freundschaft.
Er kam jetzt jeden Tag wenigstens kurz vorbei. Zu Hause hatte sich die Lage
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