Das erste Mal und immer wieder
sang ihm Kinderlieder vor und kuschelte mich zusammen mit ihm in mein Bett. Als Chrissi selig neben mir schlief, wurde mir eines ganz klar. Dies war mein Sohn, und ich wollte und würde für ihn da sein. Sein Lächeln weckte in mir ungeahnte Entschlossenheit. Kraft, die ich brauchte, um weiterzumachen. Hier hatte ich den besten Freund, den ich haben konnte. Und in mir wuchs noch ein Kind.
Ob ich ihm auch eine gute Mutter sein konnte, wusste ich nicht. Aber die Chance aufs Leben, die wollte und konnte ich ihm geben. Es würde zur Welt kommen. Mit diesem Gedanken schlief ich ein, träumte von meinen Kindern, und eines hatte ganz blaue Augen.
Die wunderbaren Tage mit meinem Sohn neigten sich dem Ende zu. Nach einer Woche wurde der Druck zu stark; die Polizei kündigte sich an. Sie würden mich besuchen und das Kind auch gegen meinen Willen mitnehmen, warnte mein Anwalt. So gab ich nach und brachte ihn zurück. Und ich begann ausgiebig nach Stefan zu suchen. Fast in jeder Firma gab es einen Mann, der ihn wenigstens kannte, aber arbeiten tat er dort nirgends. Ich fragte weiterhin jeden, den ich kennen lernte, und rief später auch Polizei und Krankenhäuser an. Seine Eltern suchte ich einmal die Woche auf, doch immer die gleichen Antworten, das gleiche Verhalten. Die »Freundin« hatte ich auch gefunden. Sie lebte in einem anderen Stadtteil und war selber am Boden zerstört, weil sie sich getrennt hatten und sie nichts von ihm gehört hatte.
Als ich im fünften Monat schwanger war, passierten zwei Dinge. Zum Ersten wurde ich geschieden, und zum Zweiten erteilte das Gericht mir das Sorgerecht für meinen kleinen Sohn.
Ich hatte nun keine Angst mehr, ob ich meinen Sohn bekommen würde. Aber ich musste mich auf monatelanges Warten einstellen. Die Wochen vergingen im Gleichklang der Gewohnheit. Noch immer sah man mir meine zweite Schwangerschaft nicht an, erst im achten Monat wölbte sich der Bauch nach vorne.
Noch immer hatte ich meinen ersten Sohn nicht bei mir. Die Mühlen der Justiz mahlten ihr Korn langsam, langsam. Es wurde Herbst, und ich hatte weder eine Spur von Stefan gefunden noch eine Idee, was ich tun könnte, wenn das zweite Baby da war. Mittlerweile konnte ich auch nicht mehr in der Gaststätte meines Bruders arbeiten. Meine Schwangerschaft behinderte mich körperlich, und die Leute tratschten, was das Zeug hielt. Sie tuschelten und fragten sich, wer wohl der Vater sein könnte. Ich schwieg zu den Fragen.
Oft saß ich nachts allein und traurig auf meinem Balkon. Ich saß auf einem Stuhl, schaute in die Sterne und fragte mich, wo Stefan wohl sein könnte. Konnte ein Mensch einfach so spurlos verschwinden? Nein, diese Möglichkeit schloss ich aus. Also saß ich, strich über meinen kleinen Bauch und schaute zu den Sternen. Ich heulte, was das Zeug hielt. Ich vermisste meine Mutter und vermisste meinen Vater. Und glaubte, Stefan sei tot. Ich fragte mich, was er wohl zu all dem sagen würde.
14 Tage vor dem eigentlichen Geburtstermin sprach ich beim Jugendamt vor. Ich erkundigte mich nach der Möglichkeit, das ungeborene Kind zur Adoption zu geben. Die Vorstellung, mein Kind zu fremden Leuten zu geben, beunruhigte mich enorm, jedoch rechnete ich mit liebevollen Eltern, die das Jugendamt ja kennen musste.
Also unterschrieb ich die Papiere. Die Adoption wäre erst sechs Wochen nach der Geburt rechtsgültig. Das Kind käme direkt nach der Entbindung, ohne dass ich es sehen würde, zu den neuen Eltern. Meine Entscheidung war gefallen, genauso wollte ich es machen.
Wenige Tage vor der Geburt bestimmte auch das Oberlandesgericht das Sorgerecht zu meinen Gunsten, und ich war froh, dass ich nicht direkt im Gerichtssaal niederkam. Meinen Sohn würde ich jetzt bald bei mir haben. Bis dahin musste ich dafür Sorge tragen, dass auch mein anderes Kind … mein blauäugiges Baby … in gute, liebevolle Hände kam. Da stand der Freund von Stefan, mit dem ich ihn am letzten Tag gesehen hatte, plötzlich vor mir. Er hob lässig die Hand zum Gruß, ließ sich neben mir an der Theke nieder. »Bist du nicht ein Freund von Stefan?«, fragte ich. »Yepp«, sagte er und biss herzhaft in sein Brot.
»Kannst du mir sagen, wo er ist?«
»Theoretisch ja, praktisch nein«, endlich sah er mich an. »Niemand weiß, wo er ist. Nicht einmal seine Eltern.«
»Er könnte ja tot sein«, erwiderte ich aufgeregt.
»Der ist nicht tot«, er lachte jetzt, fand das irrsinnig komisch.
»Ich sage dir was«, begann ich erst zögernd, aber dann
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