Das erste Mal und immer wieder
Treppe. Rockmusik, die aus der Wohnung drang, erinnerte mich daran, dass Stefan von zwei jüngeren Brüdern gesprochen hatte. »Der ist nicht da«, sagte sie und machte Anstalten, die Tür einfach wieder zu schließen. Ich sprang schnell zwei Treppenstufen nach oben und fragte weiter. »Ja, aber vielleicht können Sie mir sagen, wo er jetzt ist? Es wäre wirklich unheimlich wichtig!« Ich sah sie flehentlich an und hob dazu meine Hände bittend in die Höhe.
»Den habe ich schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Vielleicht ist er wieder bei seiner Freundin Andrea, was weiß ich.« Damit schloss sie die Tür, und ich stand allein im Treppenhaus.
»Bei seiner Freundin Andrea«, ich verdrehte die Augen. Auch das noch. Es blieb mir nichts anderes übrig, als weiterzusuchen. Zurück zu Hause griff ich mir das Telefonbuch und suchte seinen Namen. Vergeblich. Ich suchte alle Dachdeckereien heraus und notierte mir die Nummern. Dort wollte ich am nächsten Tag als Erstes nachfragen.
METAMORPHOSE
Die Tage vergingen, und es passierte nichts. Jedenfalls nichts in Bezug auf meine Suche. Auch eine Entscheidung hatte ich noch immer nicht getroffen. Ich nahm zwar Termine bei Beratungen wahr, kam dadurch aber auch nicht weiter. Meine Schwangerschaft war noch nicht zu sehen, also nahm ich wie gewohnt meinen Wochentermin bei meinem Sohn wahr. Eingelullt von der Sicherheit, schon gewonnen zu haben, erlaubte mir meine Schwiegermutter, mit meinem Sohn einen Ausflug zur Eisdiele zu unternehmen. Allein! Nur er und ich.
Ich setzte meinen kleinen Sohn hinten in mein Auto und fuhr einfach zurück. Mein Herz klopfte wie wild. Aber ich fühlte mich nicht schuldig, ich wollte ihn einfach bei mir haben. Er saß lächelnd auf der Rückbank, spielte mit dem Spielring an seinem Kindersitz und juchzte immer wieder vor Freude laut auf.
»Wir fahren nach Hause, Christopher, du bleibst jetzt wieder bei Mama«, sagte ich ihm. Natürlich verstand er kein Wort und konnte auch gar nicht antworten. Aber sein Lächeln war mir mehr als genug, und schon befand ich mich auf der Autobahn. Drei Stunden hatte ich Vorsprung, und die wollte ich nutzen. Mein schlechtes Gewissen beruhigte ich, indem ich mir immer wieder sagte, dass ich seine Mutter sei und es nur natürlich wäre, wenn er bei mir sei. Trotzdem kam ich mir vor wie ein Dieb. Ängstlich schaute ich auf jede Polizeistreife und versuchte ganz natürlich dreinzublicken. Aber ich war so froh, meinen Sohn für mich allein zu haben, dass ich alle bohrenden Gedanken beiseite schob und die gemeinsame Zeit mit ihm genießen wollte.
Als ich ankam, war keiner da, und ich hatte keine Schlüssel. Also hob ich den Jungen aus dem Auto und schlenderte glücklich mit ihm zur Eisdiele. Auf dem Weg dorthin lernte ich durch Zufall Uwe kennen. Er wohnte ebenfalls um die Ecke und war gerade dabei, aus seiner Wohnung auszuziehen. Er bat mich, mal eben die Tür aufzuhalten, eine kleine, sehr bescheidene Wohnung. Ich stellte ihm mein Kind vor und sagte ihm, dass ich zufällig gerade eine Wohnung suchen würde. Er erklärte sich bereit, mir sofort alles zu zeigen. Die Miete lag unter 300 DM, und ich ging beschwingt durch die Räume. »Hier würde ich sehr gerne einziehen«, sagte ich ihm. »In die Bruchbude mit Kind?«, er sah mich an. »Na ja, klar, ich habe keinen Nachmieter.«
Er lud mich zu einem Kaffee ein, und wir fingen an, uns zu unterhalten. Uwe war von schmächtiger, zierlicher Statur. Seine ungewaschenen Haare hingen ihm ziemlich ungepflegt ins Gesicht, auch Deodorant benutzte er wohl eher selten. Ich rümpfte insgeheim die Nase. Sein Gesicht zeigte Aknepickel. Seine ganze Erscheinung wirkte eher abstoßend. Ich fragte mich, ob es am Umzug lag. Wie seine Freundin das wohl sehen würde? Ich lachte mir ins Fäustchen, na ja, mir konnte es ja egal sein. Eine Wohnung brauchte ich in jedem Fall, schon für den Sorgerechtsprozess. Im Hintergrund lief das Radio. Uwe notierte mir gerade ein paar Telefonnummern. Da kam die Durchsage:
»Wir unterbrechen unser Programm für folgende Suchmeldung. Gesucht wird Lisa Moos. Sie ist in Begleitung eines kleinen Jungen.« Danach folgte eine ziemliche genaue Beschreibung von mir sowie von Chrissi. Es wurde dazu aufgefordert, bei Blickkontakt die Polizei anzurufen, da ich mich auf der Flucht befinden würde. Uwe sah mich an, und mir wurde sofort klar, dass er wusste, wer vor ihm stand. Verlegen sah ich nach unten und erklärte ihm in aller Hast, dass dies mein Sohn sei und aus meiner
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