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Das erste Mal und immer wieder

Das erste Mal und immer wieder

Titel: Das erste Mal und immer wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moos
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musste. »Ich will es mal so ausdrücken«, begann der Arzt. »Wenn dieses Kindchen nicht erwünscht ist, müssten wir sofort handeln.« Dann erklärte er mir in kurzen Sätzen, welche Möglichkeiten es da gäbe. Ich hörte kaum zu, die Gedanken sausten in meinem Kopf herum wie Blitze, ich fing an zu schluchzen, ich heulte richtig los. »Na, na, na, so schlimm kann gar nichts sein«, tröstete mich der Arzt und bat mich in sein Besprechungszimmer. »Erzählen Sie mal der Reihe nach, dann sehen wir weiter«, animierte er mich. Und es sprudelte aus mir heraus, alles erzählte ich und ließ nichts aus. Auch dass ich mich überhaupt nicht in der Lage sah, gut für ein weiteres Kind zu sorgen, verschwieg ich nicht. Aber eine Abtreibung war ebenso indiskutabel für mich.
    Seine Antwort werde ich nie vergessen. Sie hat mir nicht nur damals geholfen, sie hilft mir noch heute, wenn ich an mir selber zweifele. »Mein liebes Kind, wenn einem so viel genommen wird, dann sollte man festhalten, was Gott einem in den Schoß legt. Des Weiteren: Niemand wird als ein dicker, großer Medizinball geboren. Wir alle sind dünne, schlaffe Hüllen, wenn wir zur Welt kommen. Und erst die Zeit macht uns kräftig und stark.« – »Sie meinen, ich könnte es schaffen, wenn ich es wirklich will?«, fragte ich ihn. Statt zu antworten, zeigte er auf die riesige Bilderwand hinter ihm. Hunderte von Babybildern waren dort angepinnt, zusammen mit Dankeskarten hingen sie quer durcheinander.
    »Was Sie schaffen, weiß ich nicht, aber die da«, er deutete auf die Wand, »haben es jedenfalls alle geschafft.« Er entließ mich in der Gewissheit, mit welcher Entscheidung auch immer jederzeit zu ihm kommen zu können.
    Fremde Menschen, die außerhalb einer Situation stehen, können oft gezielt alles auf einen Punkt bringen. Aus der Distanz heraus sind sie viel logischer als die Mithäftlinge einer Situations-Strafanstalt.
    Ich begriff, dass hier keine Schuldfrage zu klären war und der Satz »das halte ich nicht aus« genau die Zeit beginnen lässt, die uns dann doch über alle Brücken führt. So beschloss ich, erst einmal ganz ruhig zu werden. Ich lauschte in mich und versuchte zu fühlen. Aber zu spüren war noch nichts. Jetzt, da ich Bescheid wusste, konnte ich mir auch meine ungewohnte Müdigkeit und die Übelkeit erklären. Prompt fingen auch die Brüste an zu spannen. Es war da, dort in mir drin, und ich wollte nur mit einem Menschen darüber reden. Mit dem, der es dort hineingebracht hatte.
    Mein erstes Ziel war also Stefan. Ich würde ihn suchen müssen. Niemand sollte etwas davon erfahren, nur meinen Bruder weihte ich ein. Er war fassungslos und stinksauer über meine Pläne: »O Mann, mach das weg!« Ich wollte aber mehr Zeit zum Nachdenken haben und um mich, auf was auch immer, einzustimmen. Und mit dem Vater reden wollte ich natürlich. Ich fand, dass er ein Recht darauf habe, von meiner letzten Entscheidung zu erfahren. Und so fing ich wieder an, auf ihn zu warten. Abends in der Kneipe, tagsüber suchten meine Augen die Straßen ab. Bekannte Thekengesichter kannten ihn zwar, aber wo er richtig wohnte, konnte mir niemand sagen. Nur, wo das Haus seiner Eltern lag, konnte ich in Erfahrung bringen. Alle dachten natürlich, ich wollte ihm hinterherlaufen, und machten ihre Witze darüber.
    Drei Tage nach meinem Arztbesuch traute ich mich schließlich, bei seinen Eltern zu klingeln. Auf mein Läuten hin ging der Summer. Ich trat ins Treppenhaus. Auf jedem Treppenabsatz war noch eine Toilette. Ich schlich mit klopfendem Herzen die Steinstufen hoch. Die Wände waren weiß gelackt, und es gab ein gewundenes, grün gestrichenes Holzgeländer. Aus den Fenstern konnte man einen großen, grünen Garten sehen. Wäschespinnen waren aufgestellt, und lustig flatterte die Wäsche im Wind. Es war sonnig, fast Frühling. Obwohl es beinahe Nachmittag war, hing noch immer der Geruch von deftiger Hausmannskost in der Luft. Die Eingangstür hatte drei kleine Fenster im oberen Teil, die mit einer bestickten Gardine verhängt waren. Eine Frau, Mitte 50, stand vor mir. Das war wohl seine Mutter. Sie war viel kleiner und rundlicher, als ich sie mir vorgestellt hatte. Aber die blauen Augen erkannte ich, er musste sie von ihr geerbt haben.
    »Ja, bitte?«, fragte sie mich. »Ja, hallo, mein Name ist Lisa, ich suche eigentlich den Stefan«, stammelte ich.
    Sie hielt den Eingang mit ihrem Körper verdeckt und bot mir auch nicht an hereinzukommen. So verharrte ich auf der

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