Das erste Mal und immer wieder
nahm ich all meinen Mut zusammen. »Ich bekomme ein Kind und zwar heute. Und es ist Stefans Kind!« Er schaute mich an, als wäre ich ein Geist. »Wer bist du denn? Ich kenne dich ja gar nicht. Ich denke, das hätte er mir erzählt!« Eindringlich sprach ich weiter: »Bitte glaube mir, es ist sein Kind. Seit Monaten schon suche ich ihn und will ihm davon erzählen. Wenn du weißt, wo er ist, sage ihm, er soll zum Krankenhaus kommen.«
»Also, erstens glaube ich das alles nicht«, er grinste schief, »und zweitens kann er erst in fünf Jahren kommen, er ist in der Fremdenlegion in Frankreich.«
»Was? Was soll das bedeuten. Kann ich ihn anrufen?«
»Niemand kann ihn anrufen«, bedauerte er. »Jedenfalls jetzt nicht.«
»Aber wenn er sich mal meldet, sage ihm bitte Bescheid.«
In meinem Kopf dröhnte es, mir wurde schwarz vor Augen, ich ging in die Knie. Drei Stunden später kam mein Sohn Steffen zur Welt. Die Wehen hatten im Taxi eingesetzt, und die Geburt ging schnell wie bei meinem ersten Sohn. Das Kind rutschte aus mir heraus, ich hörte den ersten Schrei und hob erschöpft den Kopf.
»Herzlichen Glückwunsch, es ist ein gesunder kleiner Junge«, sagte die Hebamme erfreut und legte mir das Kind auf den Bauch. »Aber das ist nicht mein Baby«, sagte ich leise und hielt ihn dennoch rechts und links mit meinen Händen fest. »Keine Sorge, kleine Mami«, ermutigte mich die Hebamme. Damit verließ sie den Raum, und ich schaute auf das eingewickelte Etwas auf meinem Bauch.
Ein Junge. Ich hatte noch einen Sohn …
Er hatte weizenblonde Haare und ganz hellblaue Augen. Und er schaute mich an. Fast so, als wäre er böse, dass ich ihn hinausgeworfen hatte. Ich presste ihn an mich und war unendlich glücklich.
Dann ging alles ganz schnell. Die Hebamme kam wie ein aufgescheuchtes Huhn herein, stammelte irgendeine Entschuldigung, nahm mir das Kind vom Bauch und verschwand. Die eingesetzte Assistentin hatte nicht gewusst, dass dieses Kind zu anderen Eltern kam. Sie war nicht unterrichtet worden. Ich lächelte. »Das macht nichts, ich bin unsagbar glücklich, dass ich ihn gesehen und gehalten habe. Und noch etwas, schreiben Sie in seine Papiere den Namen Steffen, nach seinem Vater Stefan, denn er sieht genauso aus.«
Vogel der Nacht, flieg hinauf bis zum Mond. Schaue von dort, wo die Liebste jetzt wohnt. Flieg zu ihr hin, sag ihr: Ich bin allein. Vogel der Nacht, sie muss mir verzeihen.
Stefan Remmler
Gleich am nächsten Tag konnte ich schon wieder nach Hause fahren. Es war eigenartig, so ganz alleine. Nachdem ich mich wenige Tage ausgeruht hatte, fing ich an, Pläne zu schmieden. Stefan war weg, er würde nicht kommen. Steffen war auch weg, ich würde ihn niemals wiedersehen. Christopher war bald hier, und ich lebte von der Hand in den Mund. So sollte es nicht bleiben. Ich war knapp 20 und hatte das Leben noch vor mir. So schrieb ich mich an der Uni ein, um Studentin zu werden. Das würde sehr viel Geld kosten. Das Bafög würde vorne und hinten nicht reichen. Also dachte ich um und begann zu Hause zu studieren, meldete mich für ein Fernstudium an. So war ich auch ständig zu Hause und hätte keine Probleme, für meinen Kleinen da zu sein.
Als Christopher endlich zu mir zog, konnte er schon laufen und teilweise richtig sprechen. Ich war begeistert und glücklich. Stundenlang sah ich ihn an, nahm ihn wo immer ich hinging mit mir, und ließ ihn niemals aus den Augen. Meine Unterlagen von der Schule kamen, und ich beschloss, alles heimlich vom Geld des Staates zu zahlen. Natürlich wusste ich, dass es auf Dauer eine Sackgasse war. Jeden Monat fehlten mir mehrere hundert Mark. Es fing ganz unmerklich an.
Ich betrachtete jeden Kinderwagen und begann hineinzuschauen, ob es vielleicht mein Sohn war. Überall um mich herum waren plötzlich Schaufenster mit Babybekleidung. Jeden Abend lachten mich aus der Fernsehwerbung rundliche, rotgesichtige Kinder an und warben für den »Superbrei«. Sie liefen wackelig und barfuß quer über den Bildschirm, um glücklich »die tollste Windel der Welt« zu umarmen. Die Welt war plötzlich voller Babys, und sie verfolgten mich bis tief in den Schlaf hinein. Blaue Augen, die mich noch immer bös anschauten. Blaue Augen, die mich suchten. Blaue Babyaugen, am Tag und in der Nacht. Ich wurde fahrig, nervös und versuchte, die Gedanken zu verschieben, zu verlagern. Ich stürzte mich auf meine Hausaufgaben und auf Christopher. Der war immer still, lieb und furchtbar freundlich. Nie weinte er
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