Das erste Schwert
können wir den nächsten Schritt tun.«
»Du willst uns Regeln
aufzählen
?«, herrschte Ellah sie an. »Ich dachte, wir lernen wie man kämpft!«
|312| »Regel Nummer eins«, sagte Kara mit ernster Lehrerstimme: »Ein guter Kämpfer ist geduldig. Kämpfen zwei oder mehr, die sich
ebenbürtig sind, gegeneinander, gewinnt der Geduldigere. Verliert also niemals die Geduld.«
Ellah biss sich auf die Zungenspitze. Erle verlagerte sein Körpergewicht unruhig vom linken auf den rechten Fuß. Skip wiederholte
die Worte im Stillen und beobachtete, wie Kara nun einen kleinen Beutel aus ihrem Bündel nahm, ihn öffnete, eine Gewürzprise
in ihre freie Handfläche schüttete und wieder beiseite legte; dann fügte sie den Gewürzen Salz hinzu, mischte das Ganze und
rieb den Hasen damit ein. Nicht einer von ihnen wagte diese gemächliche Prozedur zu stören, die Karas ganze Aufmerksamkeit
beanspruchte. Sie alle hatten die erste Regel vernommen.
Geduld
. Keiner wollte sich zum Dummkopf machen, indem er jetzt auch nur einen Hauch von Ungeduld zeigte. So sehr Skip den anderen
Regeln entgegenfieberte – das, was sie gesagt hatte, ergab eine Menge Sinn.
Eine Ewigkeit verging, dann sprach sie weiter.
»Regel Nummer zwei«, sagte sie. »Ein guter Kämpfer kämpft, um zu gewinnen. Lasst also kein anderes Ziel in euren Gedanken
sein.«
Sie warteten, doch Kara hatte ganz eindeutig vorerst nicht die Absicht, fortzufahren.
In dieser zweiten Regel vermochte Skip überhaupt keinen Sinn zu erkennen. »Welche anderen Ziele?«, wagte er schließlich –
leise genug – zu fragen.
Kara sah kurz auf und streckte sich, auf einen Ellbogen gestützt, am Feuer aus. »Es gibt Krieger, die kämpfen für Ruhm. Ihr
Ziel ist nicht der Sieg als solcher, sondern die durch den Sieg errungene Berühmtheit. Sie reden viel, und stets geht es darum,
ehrenhaft zu kämpfen
. Aber das ist, als würde man mit einer auf den Rücken gebundenen Hand kämpfen. Wenn ihr kämpft, dann müsst ihr alles andere
vergessen, außer dem |313| unbändigen Verlangen, zu siegen. Ihr müsst alles, und ich meine wirklich
alles,
tun, um euren Gegner zu erwischen. Trickst ihn aus, greift an, solange er nicht auf der Hut ist, nutzt jede noch so winzige
Chance, ihn in die ungünstigere Lage zu bringen – oder macht es ihm zumindest so schwer wie nur irgend möglich, über euch
zu triumphieren.«
Wieder legte sie eine Pause ein; langsam,
sehr
langsam drehte sie den aufgespießten Hasen über der wabernden Glut. Der Duft von geröstetem Fleisch breitete sich aus.
Skip räusperte sich den Hals frei. »Genau so hast du gegen den Gorg’tal gekämpft, richtig? Du hast ihm diese Steine ins Gesicht
geschleudert und dann –«
Sie sah ihn einen Moment lang an. »Ja«, sagte sie. »Sowas in der Art.«
Sie drehte sich vom Feuer weg und wischte ihre freie Hand im Gras ab. »Regel Nummer drei«, sagte sie. »Verliert auch im Kampf
nie eure Gelassenheit.«
»Gelassenheit?«, wiederholte Erle verdattert.
»Du hast schon richtig gehört.«
»Was ist mit Zorn? Der Raserei des Kämpfers?«, fragte Skip. In den Büchern, die er zuhause so gerne gelesen hatte, war oftmals
vom
heiligen Zorn
des Heldenkriegers die Rede gewesen, und davon, wie gerade er ihn zu Ruhmestaten anspornte. Ganze Armeen waren so in die Schlacht
gezogen, eine Flutwelle aus von berserkerhafter Wut getriebener unbesiegbarer Körper. Früher, in der Schule, während der Raufereien
mit den größeren Jungen, hatte er versucht, die in den Büchern beschriebene Raserei auch in sich heraufzubeschwören und so
gegen jede Wahrscheinlichkeit doch zu gewinnen. Es war ihm nie wirklich gelungen, allerdings hatte er stets dem eigenen Unvermögen
die Schuld daran gegeben.
Kara betrachtete ihn aufmerksam.
»Zorn«, sagte sie, »kann durchaus einen kurzfristigen Vorteil verschaffen – den schwächeren Feind besiegt man damit, |314| dem stärkeren vermag man unerwarteten Widerstand zu leisten. Aber Zorn macht auch verletzbar und eröffnet dem Gegner seinerseits
Angriffsmöglichkeiten. Agiert man gelassen, hat man die nötige Distanz zu seinem Gegenüber, man nimmt alles präziser wahr,
man ahnt seine Reaktionen voraus – und auch die eigenen Handlungen werden genauestens beurteilt. Innere Ruhe bewahrt davor,
sich entmutigen zu lassen und aufzugeben – beides widerfährt den Zornigen häufig, sobald die Raserei nachlässt.«
Sie verstummte und ließ das Gesagte einwirken. Es machte
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