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Das erste Schwert

Titel: Das erste Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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Stiefelschaft hoch, und die kalte Berührung machte ihn schaudern.
    Weiter. Weiter. Es hatte keinen Sinn, darüber nachzudenken.
    Wenn er nachdachte, hatte er das Wasser vor Augen, wie es ihn hüfthoch von allen Seiten her umfasste. Und das Wissen, dass
     es, sobald er stürzte, auch
in
ihm war, in seinem Mund, seinem Magen, überall. Die machtvolle Strömung würde ihn packen und herumreißen und davonwirbeln.
     Zurück. In den Pfuhl.
    Zu Ayalla.
    »Skip!« Ellahs Stimme. »Heb’ dein Bündel über den Kopf! Du wirst alles ganz nass machen!«
    Er sah sie durch gaukelnde Nebelschleier, wie sie in einiger Entfernung bis zur Taille im Wasser stand. Sie hatte die tiefste
     Stelle der Furt bereits hinter sich gelassen und folgte Erle nach, der soeben am anderen Ufer aus dem Wasser stieg.
    Viel zu weit. Unmöglich, zu ihr zu gelangen.
    Eine Hand berührte ihn an der Schulter.
    »Bist du dir sicher, dass du’s schaffen kannst?«, fragte Kara.
    Er vermochte sie kaum zu hören. Er wollte antworten: »Ja, ich bin mir sicher!«, doch er konnte es nicht. Zu viel Kraft hätte
     es gekostet, zu
reden.
Stattdessen tat er einen weiteren Schritt voran. Das Wasser reichte ihm nun bis über die Knie. Er spürte das Zerren der Strömung,
     schwach, aber beharrlich.
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Zur Flussmitte hin wird sie schlimmer werden,
brausten und brüllten die tausend Stimmen des Elligar auf ihn ein.
Und wenn du nur ein einziges Mal nicht aufpasst, wohin du trittst, dann hab ich dich, dann gehörst du mir.
    »Skip!«, hörte er Ellah schreien. »Was machst du denn?
Heb’ dein Bündel an!«
    Er bewegte sich wie ein Schlafwandler, Schritt für Schritt für Schritt. Er spürte das Wasser, es reichte ihm bis zur Hüfte,
     es versuchte ihn niederzuringen. Etwas umwirbelte seine Hände, zog und zerrte daran, riss ihn aus dem Gleichgewicht. Aber
     er wusste Besseres zu tun, als
nach unten
zu sehen. Dort unten war das Wasser, waren Wellen und Strudel und Abgründe, die sich schäumend darin auftaten – die geifernden
     Mäuler des Elligar. Er straffte die Schultern; er stemmte sich dem Zerren entgegen und hielt den Blick eisern auf Erles ferne
     Gestalt konzentriert. Er wusste, Erle beobachtete ihn angespannt vom anderen Ufer her.
    Der Sog an seinen Händen nahm zu und festigte seinen Griff noch. Trotzdem; er würde nicht aufgeben! Und er würde diesem Fluss
     nichts von seinem Hab und Gut überlassen. Er –
    »Gib’ her!« herrschte Kara ihn an. »Das wird ja ganz nass!«
    Er sah nach unten.
    Sein Bündel trieb auf den Fluten. Und sein Mantel. Beide suchten sie dem festen Griff seiner Hände zu entkommen. Ringsumher
     nichts als wogende, rauschende
Wassermassen.
Ein immerwährendes Heben und Senken und Fließen. Mehr als hüfthoch stand er darin, und er hörte, wie es ihn lockte und träge
     und unablässig an ihm zerrte. Niemals würde es ihn wieder freigeben. Es hob seine Füße an, drängte sie stromabwärts, dorthin,
     wo der Pfuhl lag und wartete.
    Er gab dem Zerren nach.
    Er hörte ferne Schreie und dann – nichts mehr. Er versank |321| in den wispernden, tuschelnden, brüllenden Stimmen der Fluten. Von überallher stürzte nun Wasser auf ihn ein, schlug ihm mit
     Macht ins Gesicht, drang ihm in Ohren und Nase, drückte gegen seine weit aufgerissenen Augen. Der klare Abendhimmel über ihm
     kippte. Die schlammig-braunen Wasser des Flusses Elligar stürzten aufkreischend darüber und verwandelten sein wässriges Blau
     in grünliche Wucherungen, wie er sie aus den unergründlichen Tiefen des Sumpfes kannte, und dann in abgrundtiefes Dunkel.

Ein fliehendes Pferd
    Berge aus Wasser türmten sich auf und rollten wie im Takt eines ungeheuerlichen Herzschlages vor ihm und neben und über ihm,
     und er fühlte sich wie Herbstlaub mitten in diesem Aufruhr. Er begriff kaum, dass er längst wach lag und mit entsetzt geweiteten
     Augen Trugbilder anstarrte, die geradewegs seinen Seelentiefen entsprungen sein mussten. Noch immer spürte er deutlich den
     Sog des Wassers an sich, und wie es ihn mit tödlicher Hingabe wiegte und einlullte, aber es war nicht länger kalt.
    Es war nicht länger nass.
    Mit einem Keuchen setzte er sich auf.
    »Shal Addim sei Dank!«, hörte er Ellah wispern.
    Wie ein Tier im Fangeisen starrte er um sich; langsam nur kehrten seine Lebensgeister wieder. Nicht weit von ihm gleißte eine
     unermesslich große Wasserfläche wie geschmolzenes Silber. Doch unter seinem Leib, das spürte er nun, lag fester Boden, war
     frisches Gras.

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