Das erste Schwert

Dunklen Pfuhls.
     
    Sie erreichten die Lickenden-Furt am frühen Nachmittag. Ganz unerwartet tauchte sie hinter einer weiten Kehre der breiten
     Straße auf – eine gigantische Wasserfläche, einzigartig in ihrer großartigen Erhabenheit; ein Anblick, der Skip wie eine reißende
     Bestie mitten ins Gesicht sprang.
    |317| Vögel stoben himmelwärts und kreisten, aufgebracht flatternd, mit lautem Geschrei. Und Skip stand mit offenem Mund und starrte
     und wusste – nichts Vergleichbares hatte er jemals erblickt.
    Der Fluss, bislang zwischen hohen Uferbänken eingezwängt, hatte seine Kerkermeister weit von sich gedrängt und sah nun mehr
     nicht wie ein See aus; gleich einer Blume, deren Blütenblätter sich aus einer kleinen, festen Knospe heraus auftaten, so ergoss
     sich der Elligar aus seinem bisherigen Bett in diese
Wasserweite
hinaus, bevor er, weiter im Norden, wieder wie bisher dahinzuströmen gezwungen war.
    »
Da
soll man durchgehen können?«, entfuhr es Skip, und er konnte nicht vermeiden, dass seine Stimme zitterte. An dieser sogenannten
     Furt lag der Strom doppelt so breit wie bisher vor ihnen. Strudelndes Wasser blitzte und glitzerte, soweit das Auge reichte.
    Keiner seiner Gefährten antwortete ihm. Nur die Vögel, wollte es Skip vorkommen, schrien lauter als zuvor.
    Erle spuckte aus und setzte sich als erster wieder in Bewegung. Im Gänsemarsch folgten sie ihm zum Saum des Elligar hinab.
     Die Luft roch plötzlich anders, es war, als atme man Wasser und Sturmwind zugleich. Winzige Spritzer schnellten sich ihnen
     aus den Fluten heraus entgegen, Wasserwirbel fegten herbei und griffen gierig nach ihren Stiefeln. Gänzlich unbeeindruckt
     von alledem stakste Shadow ihnen auf schlammigem Grund entgegen, senkte den Schädel und soff.
    »Zieht eure Mäntel aus und hebt sie mit beiden Händen hoch über den Kopf!«, wies Kara an. »Es genügt, dass unsere restlichen
     Kleider nass werden.«
    »Wie tief ist das Wasser hier?«, wollte Erle wissen. Auch seine Stimme bebte – jedoch nicht aus Angst, sondern erfüllt von
     diesem Wunder. Im Geheimen bewunderte Skip den Mut des Bruders.
    »Dir wird’s wohl gerade bis zur Hüfte reichen«, sagte Kara. |318| Und, mit einem Nicken zu Ellah hinüber: »Und dir bis an die Brust. – Wenn ihr in der Flussmitte seid, gebt gut darauf acht,
     wohin ihr eure Füße setzt. Die Strömung ist reißend schnell.«
    Erle packte Mantel und Reisegepäck zusammen, hob das so entstandene neue Bündel über den Kopf und watete vorsichtig in den
     Fluss hinaus.
    Panik fuhr Skip in die Knochen. Doch er musste es tun. Nein, auf gar keinen Fall würde er seine Angst zeigen. Es war ganz
     und gar unmöglich, den Gefährten zu sagen, dass –
    Vielleicht konnte er auf der Straße weitergehen und in Jaimir wieder zu ihnen stoßen?
    Verschwommen sah er Ellah; sie schwebte an ihm vorbei und in die schnell fließenden, wirbelnden Fluten hinaus. Das Schreien
     und Flattern der Vögel füllte seinen Kopf, füllte ihn bis fast zum Bersten. Dann erst begriff er, dass es die tausend Stimmen
     des Flusses Elligar waren, die er außerhalb und innerhalb seines Kopfes hörte. Ellahs Rock wurde von der Strömung erfasst
     und stromabwärts gerissen; wie eine Schleppe wirbelte er zu ihrer Rechten. Sie wankte kurz und stemmte sich dem Druck entgegen.
     Dann tat sie den nächsten Schritt. Und den nächsten.
    Mussten sie den Fluss wirklich
unbedingt
überqueren?
    Skip sah das Wasser vor sich aufwallen und wieder nach unten sacken. Ein lebendes Wesen. Er zwang seine Füße, sich zu bewegen.
     Tat einen Schritt. Und noch einen. Spürte, wie das Wasser seine Stiefel berührte. Es war kalt. Er schloss die Augen.
    »Hey, Junge?«, sagte eine Stimme neben ihm, und er wollte etwas sagen und schlucken, doch sein Mund war so trocken wie alter
     Zunder. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Kara an und versuchte die Wasser ringsumher auszusperren.
    »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte sie. »Du siehst totenblass aus.«
    |319| »Mir geht’s gut«, sagte Skip. Wenigstens versuchte er sich dies einzureden. Seine Lippen bewegten sich und formten doch nicht
     den geringsten Laut.
    Er wünschte, sie würde ihn allein lassen. Es war
seine
Angst, der er sich stellen musste. Sobald sie begriff, dass er sich vor Wasser fürchtete, würde sie ihn bis ans Ende seiner
     Tage auslachen. Und mindestens genausolange würde sie ihn »Junge« nennen.
    Er tat den nächsten Schritt. Eine Welle züngelte an seinem