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Das erste Schwert

Titel: Das erste Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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vergönnt gewesen, von Anbeginn an Zeuge dieses
     Treffens zu sein. Umso eifriger mühte er sich jetzt, nur ja kein Wort mehr zu versäumen.
    »Habt ihr überprüft, ob der Bote tatsächlich sogleich tot war?«
    Die gemeinhin so sanfte und einschmeichelnde Stimme des Allheiligen Vaters klang, als reibe man rostigen Stahl auf rostigem
     Stahl. Bruder Boydos kannte diesen Tonfall nur allzu gut; gerade so, wie er auch wusste, dass Seine Heiligkeit seine Ghaz
     Alim einsetzte, die Verfluchte Gabe, um die drei Männer auch noch ihres letzten Quentchens Willensstärke zu berauben.
    Seine Worte sanken durch die stickige Zwielichtluft zu Boden, krochen über den gepflasterten Hof und erstarben, bevor der
     Anführer der drei Männer zu antworten wagte.
    »Wir sahen den Bolzen seine Brust durchschlagen, Allheiliger Vater!« Wie jämmerlich er sich mühte, seine Stimme fest klingen
     zu lassen. »Er stürzte vom Pferd. Bevor wir absitzen konnten, eilte ein Cha’ori-Spähtrupp herbei. Uns blieb keine Wahl – wir
mussten
uns zurückziehen.«
    »So, so, zurückziehen musstet ihr euch.« Der Allheilige Vater wandte sich ab und schritt der gewaltigen Nordmauer entgegen;
     ohne sich umzudrehen, sprach er weiter: »Habt ihr herausgefunden, was er bei sich trug?«
    Die eisige Geduld in der rostigen Stimme war entsetzlicher als Wutgeschrei. Mühelos hörte Boydos jene wohlverborgenen Ghaz-Alim-Töne
     heraus, die geradewegs ins Unterbewusstsein |359| der Männer hinabstießen und dort ein Gefühl entfesselten, das blanker Panik so nahe kam. Die
Befehlsmacht
Seiner Heiligkeit war immens – und Boydos einer der wenigen, die darum wussten. Und einer der Gründe dafür, dass er seine
     hohe Stellung trotz dieses Wissens noch immer bekleidete, war die Tatsache, dass er den Mund halten konnte und dies wiederum
     Seine Heiligkeit wusste.
    Eure Geduld ist eine Tugend
, zitierte Bruder Boydos im Stillen für sich aus dem Buch der Gebote.
Ein Meister der Geduld triumphiert über seine Feinde. Shal Addims Segen ist mit den Geduldigen.
    »Wir kehrten später wieder zurück«, flüsterte der Anführer der drei Männer; weiß waren seine Lippen vor Anstrengung. »Wir
     fanden den Leichnam und durchsuchten seine Kleidung – fanden jedoch nichts von Wert.«
    »Und in den Satteltaschen des Pferdes?«
    »Es – es war weit und breit nicht mehr zu sehen.« Des Mannes Stimme bebte. »Es muss in die Or’hallas davongelaufen sein.«
    »Habt ihr Bruder Nikolaos befragt?«, fuhr Haghos fort.
    Die Miene des Befragten hellte sich auf. »Ja, das haben wir, Allheiliger Vater!«, antwortete er mit festerer Stimme, da er
     sich wohl freute, zumindest eine Frage Seiner Heiligkeit mit »Ja!« beantworten zu können.
    Und in der dunklen Sicherheit des Säulenganges fällte Boydos sein Urteil:
Das sind keine Heiligen Wachen. Sie offenbaren viel zu viele Gefühle während dieser Vernehmung. Und sie scheinen nicht zu
     wissen, was sie erwartet. – So mögen es also Söldner sein?
    »Weiter!«, forderte die Stimme des Allehrwürdigen.
    »Wir verschafften uns Zutritt zu seinem Haus, und er hatte das Päckchen nicht in seinem Besitz. Doch schien er mit einem Boten
     gerechnet zu haben. Es überraschte ihn nicht, uns zu sehen.« Damit verstummte er, senkte den Blick.
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Aha,
dachte Bruder Boydos.
Nun also erfahren wir endlich, was in Eichenhain geschehen ist.
    Als der Mann wieder aufsah, flackerte in seinen Augen bereits ein Widerschein des Fegefeuers; er hatte es nicht eilig, fortzufahren.
     Seine Lippen zuckten wie unter unsichtbaren Hieben.
    »Sprich mit mir, mein Sohn!« Haghos hatte vor der Nordmauer des Hofes kehrtgemacht und schritt nun gemächlich zu ihm zurück.
     Seine Stimme war wie verwandelt – nicht mehr stählern klang sie, sondern seidenweich, nahezu gütig – als spreche ein allzu
     nachsichtiger Vater milde mit seinem geliebten Kind.
    Die Augen des Mannes verdrehten sich; er schluckte, als gelte es, eine Pfuhlkröte hinunterzuwürgen. »Im Verlauf unserer Befragung
     ist er   ... ist er   ... gestorben, Heiligkeit.«
    »Ihr habt ihn getötet?«
    Nervös befeuchtete der Mann seine Lippen. Sein Schädel wackelte, als zerre ein Sturmwind daran – und immer weiter mühte er
     sich, den Blick unerschütterlich auf das kapuzenüberschattete Gesicht gerichtet zu halten.
    »Er ist einfach gestorben, Allheiliger Vater!«, stieß der Mann hervor; hart und überzeugend sollte es wohl gelten – doch klang
     es wie ein winselndes Flehen. »Wir – wir

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