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Das erste Schwert

Titel: Das erste Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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ist – diese Alpträume sind der wahre Hinweis auf Magie.«
    Skip wollte sich abwenden, aus Dagmaras Zelt stürzen und fliehen, doch saß er ihr nur weiterhin mit verkrampften Muskeln und
     zunehmend versteinerndem Gesicht gegenüber. Er hatte Angst, seinen Blick zu heben, ihr direkt in die Augen zu sehen; Angst,
     die Wahrheit könnte gleich einem Funken aus seinen Augen entfliehen. Er wollte nicht glauben, was er soeben gehört hatte.
     Aber er wusste, ihm blieb keine Wahl. Tief in seinem Innersten wusste er – sie sagte die Wahrheit.
    Langsam hob er den Kopf und begegnete ihrem bernsteingelben Wolfsblick. »Warum hast du mir das alles erzählt?«, wollte er
     wissen, in der Hoffnung, dass seine Stimme nicht verriet, wie er sich fühlte.
    Sie erwiderte sein Starren. Dann sagte sie langsam: »Du musst mir nicht vertrauen, Skip. Ich weiß, ich habe nichts getan,
     um dieses Vertrauen zu verdienen. Bewahre einfach in deiner Erinnerung, was ich dir gesagt habe.«
    Er protestierte nicht; er bejahte nicht. Er ließ einfach zu, dass die Stille andauerte. Wie sie trank er von Zeit zu Zeit
     von seinem Tee. In seinem Kopf schwirrten zahlreiche Fragen, und er grübelte, wie er sie in Worte kleiden konnte, nun, da
     er Dagmara sein Misstrauen offenbart hatte. Schließlich war es die geheimnisvolle Frau selbst, die ihm zu Hilfe kam.
    »Erzähl’ mir deine Geschichte, Skip«, forderte sie ihn auf. »Erzähl’ mir, warum sich zwei junge Walder entschlossen haben,
     die Weiten der Or’hallas herauszufordern, noch dazu in solch ungewöhnlicher Gesellschaft.« Sie lächelte, horchte in sich hinein,
     und murmelte kopfschüttelnd, als könne sie es selbst kaum glauben: »Zwei Brüder und ein gläubiges Mädchen |352| aus den Waldlanden – und eine bestens trainierte olivianische Söldnerin.«
    Skip holte tief Luft und begann zu reden. Wie die Wasser des Elligar strömten die Worte über seine Lippen, es war, als erzählten
     sie sich selbst, angefangen bei ihrer Wanderschaft zur Sumpfstadt bis hin zu jenem Augenblick, da Kara sich auf Shadows Rücken
     geschwungen und davongeeilt war, um ein fliehendes Pferd einzufangen und ein Cha’ori-Kind zu retten.
    Ganz still saß Dagmara ihm gegenüber und trank ihren Tee. Die Zeit verflog. Das Licht in der Laterne zuckte und wand sich,
     als sei es am Sterben. Erst viel später, als ihm eine Haarsträhne vor die Augen fiel, begriff er, dass er längst fertig war
     mit seiner Erzählung – und noch immer regte Dagmara sich nicht, sodass er für eine Weile nicht sicher war, ob sie ihm überhaupt
     zugehört hatte.
    Im gleichen Moment sah sie ihn mit ihren Bernsteinaugen direkt an. »Ich will mehr über Ayalla hören«, verlangte sie und nahm
     einen unaufgeregten Schluck aus ihrer Tasse. »Es geht ihr gut, sagst du?«
    »Du kennst Ayalla?«, entfuhr es ihm verdutzt.
    »Wer nicht? Sie ist die Mutter des Waldes und diejenige, die durch ihre bloße Existenz das heraufbeschwor, was die Priesterschaft
     die
Dunkle Zeit
nennt.«
    »Aber seither sind Jahrhunderte vergangen!«
    »Es gibt vielerlei Gestalten, die jemandes Talent   – Magie – anzunehmen vermag. Ayallas Gabe ist gewiss die mächtigste von allen. Sie ist blutsverwandt mit den Bäumen, ihre
     schöpferische Kraft erhält die Waldlande am Leben – und so ist es doch nur natürlich, dass Langlebigkeit ein Teil ihrer Gabe
     ist. Dieselbe Langlebigkeit, mit der Bäume ungezählte Jahrhunderte zu überdauern vermögen, bis eine feindselige Hand zur Axt
     greift und sie niederstreckt. Es gibt einige unter Jenen-mit-der-Gabe, die Herr sind über ihren Alterungsprozess, doch Ayallas
     angeborene Magie übertrifft alles.«
    |353| »Dann muss sie sehr alt sein«, vermutete Skip, fasziniert.
    »Ich weiß nicht genau, wie alt sie ist«, sagte Dagmara, »doch älter als du und ich zusammen, soviel steht fest. Und das, Skip,
     heißt: sehr, sehr, sehr alt. Ich bin nicht so jung, wie es den Anschein hat.«
    Er wollte ihr eine Frage stellen, hielt sie jedoch zurück. Sie schuldete ihm kein Vertrauen. Mittlerweile dämmerte ihm, dass
     es Wahrheiten gab, die besser unausgesprochen blieben.
    Dagmara nahm es mit kaum merklichem Nicken anerkennend zur Kenntnis. Dann beugte sie sich vor und fragte in fast verschwörerischem
     Tonfall: »Welchen von euch hat sie erwählt?«
    »Erwählt?« Nur einen Moment lang war Skip verblüfft. Dann erinnerte er sich an Erles Unterhaltung mit Garnald, am Tag, da
     sie Ayallas Reich verlassen hatten, und

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