Das erste Schwert
verwunderte; jedoch mochte aus demselben
Grund auch die Aussicht auf eine Mahlzeit eher fraglich sein.
»Meisterin Yba!«, rief Ellah, als habe sie ihr Leben lang nichts anderes getan, als arme Wirtsleute herbei zu kommandieren.
Erle sah aus, als würde er am liebsten in ein Mauseloch verschwinden. »Vielleicht lässt sie sich ja ohnedies blicken, sobald
wir uns an einem der Tische niederlassen«, gab er zu Bedenken. »Es sei denn, natürlich, dass es jetzt noch gar nichts zu essen
gibt.«
»In diesem Fall«, sagte Ellah, ganz Herrin der Situation, »können wir uns immer noch brav in ein Eckchen setzen und unser
weiteres Vorgehen besprech –« Sie hatte von Erle zu Skip gesehen und brach mitten im Wort ab.
»Ellah?«
Sie sah schrecklich aus. Skip starrte sie an, und sie starrte an ihm vorbei, auf etwas hinter ihm.
Jemand
hinter ihm. Eine schreckliche, eisige Vorahnung schoss ihm aus der Brust direkt in den Kopf, und doch gelang es ihm, ganz
beherrscht den Kopf zu drehen und ihrem Blick zu folgen.
»Hallo, Junge«, sagte Raishan lächelnd. »Skip – richtig? Willst du mich nicht deinen Reisegefährten vorstellen?«
Erles Hand zuckte zur Axt, doch der Majat-Assassine bannte ihn mit einem einzigen knappen Blick. »Oh, sei nicht kindisch!«,
sagte er, immer noch lächelnd. »Lasst uns einfach nur reden. Wir haben ohnedies viel zu wenig Zeit.«
»Und worüber wollt Ihr reden?«, fragte Erle steif.
Raishan lachte auf. »Du bist Erle, stimmt’s?«, sagte er. »Der Sohn von Kyth dem Schmied.«
»Was wollt Ihr von uns?«, fuhr Ellah ihn an.
»Diese Olivianerin ... eure hochgeschätzte Begleiterin«, |538| sagte Raishan, »ihren Namen kenne ich nicht, aber was ihre Absichten anbelangt, habe ich eine ziemlich genaue Vorstellung.
Ihr müsst schnellstens von hier verschwinden, solange sie noch weg ist.«
»Ach, wirklich?«, sagte Ellah trocken. »Und wer seid Ihr, dass Ihr uns das anraten könnt?«
Raishan zog sich einen Stuhl herbei, setzte sich rittlings darauf und sah sie ernst an. »Ich bin ein Majat im diamantenen
Rang«, sagte er. »Je davon gehört?«
»Ein oder zwei Mal«, murmelte Skip, während ihm am ganzen Leib Gänsehaut kribbelte. Es war eine Sache, im Flüsterton geäußerte
Verdächtigungen zu hören, und eine gänzlich andere, diesen katzenhaften, mörderisch-gefährlichen Mann vor sich zu haben und
zu hören, wie er es in aller Ruhe eingestand.
Raishan wandte sich ihm zu. »Uns bleibt wirklich nicht viel Zeit, Skip«, sagte er eindringlich. »Alles, was ich dir in Jaimir
sagte, ist wahr. Ich wurde in Dienst genommen, um den Sohn des Schmieds von Eichenhain zu schützen. Ihn sollte ich in Eichenhain
abholen und in die Steinernen Grate begleiten. Zur Weißen Zitadelle. – Nur wusste ich damals noch nicht, dass Kyth
zwei
Söhne hat.«
Ellahs Augen weiteten sich. »Ihr lügt doch!«, rief sie aus. »Der Edelmann –« Atemlos, das Gesicht feuerrot erhitzt, hielt sie im letztmöglichen Augenblick inne – um nicht ausgerechnet diesem Majat,
der ihnen schon so lange folgte, ihr Geheimnis zu offenbaren.
Doch Raishan nickte nur. »Den Hochgebieter Roderick Dornbard meinst du«, sagte er. »Er war ausgesandt, mein Kommen anzukündigen.
Und Kyths Sohn mein Unterpfand auszuhändigen. Ihr drei tragt es bei euch, richtig?«
Skip starrte ihn fassungslos an; doch schon begannen sich jähe Zweifel in ihm zu regen. Der sterbende Edelmann hatte nicht
mehr viel sagen können.
Auch ... ein Diamant unterwegs
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.
Was, wenn er sie damit nicht vor dem Majat hatte warnen wollen, sondern –
»Ihr tragt es bei euch«, stellte Raishan fest, drängender nun.
Die Welt ringsum rückte wieder an Ort und Stelle, doch schien sie grauer und bedrohlicher geworden zu sein. »Ja«, sagte er
mit fester Stimme. »Wir haben das Unterpfand. Den Sternendolch.«
»Gut.« Raishans Schultern entspannten sich; nicht mehr gar so schwer schien das darauf lastende Gewicht zu sein. »Dann müsst
ihr wissen, dass ich euch die Wahrheit sage. Glaubt mir, wenn ich euch nahelege, dass wir diesen Ort verlassen müssen. Und
zwar unverzüglich.«
»Aber –«, begehrte Ellah auf.
Und Skip verstand sie.
So viele Fragen
, dachte er. So viele, dass keiner von ihnen wusste, welche er zuerst stellen sollte. Keiner – außer ihm.
»Und was sind Karas Absichten?«, murmelte er niedergeschlagen mit eiskalten Lippen.
»Kara!« Raishan schmunzelte. »Was für ein hübscher Name für einen
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