Das erste Schwert
sein Eingeständnis könnte ihm den Boden unter den Füßen wegreißen. Und doch nickte er, denn über allen
Aufruhr hinweg
spürte
er die Würde in Raishans Worten. Dieser Mann war stolz darauf, ein Majat zu sein, und glaubte an die Ehrenhaftigkeit seines
Tuns. Was er sagte, klang in sich stimmig. Und doch ... konnten sie ihm trauen? Wie konnte er auch nur in Betracht ziehen, dass Kara in diesem Moment unterwegs war, sie allesamt
an ihre Feinde zu verraten?
Oder dass sie ein Diamant-Majat war?
Nein
, das konnte unmöglich sein.
Und Dagmaras Warnung ...?
»Warum warten wir nicht einfach, bis sie wieder hier ist und geben ihr Gelegenheit, sich zu verteidigen?«, hörte er sich dennoch
sagen. »Ich kann einfach nicht glauben, dass Ihr richtig informiert seid, Raishan.«
»Immer vorausgesetzt, wir können ihm überhaupt trauen!«, fügte Ellah hinzu. »Ich bin auf Skips Seite. Wir sollten auf Kara
warten.«
Raishan hob in beinahe komischer Verzweiflung resignierend die Hände und verschränkte sie auf der Stuhllehne vor sich. »Aber
ihr habt schon alles vernommen und begriffen, was ich euch sagte?«, vergewisserte er sich; seine Stimme klang nun einen Hauch
ungeduldiger als noch zuvor. »Wenn Kara zurückkommt, wird sie nicht allein sein. Sie ist mein exaktes weibliches Ebenbild
und mir in allem ebenbürtig. Wenn sie zudem noch Verstärkung mitbringt, kann ich euch beim besten Willen nicht mehr schützen.
Dann ist es zu spät.«
»Trotzdem«, mischte sich nun Erle ein. »Wir können uns |543| nicht einfach aus dem Staub machen, ohne sie wenigstens angehört zu haben. Wir stehen in ihrer Schuld.«
Alle Köpfe ruckten herum, als draußen ein Tumult laut wurde. Stahl klirrte und eine Unzahl von Füßen trampelte in schnellem
Laufschritt herbei.
»Sieht so aus, als gehe euer Wunsch in Erfüllung«, meinte Raishan lakonisch, erhob sich und hatte in derselben fließenden
Bewegung bereits die Klinge blankgezogen. Und jetzt, plötzlich, noch während der Majat sich schützend vor sie stellte, fiel
es Skip wie Schuppen von den Augen – die Bewegungen dieses Mannes glichen Karas Bewegungen so sehr, dass es ihm den Atem verschlug.
Sie
kann
kein Diamant-Majat sein. Nicht jener Majat, der ausgesandt war, sie in die Gewalt des Feindes zu überstellen. Bitte nicht!
Erle trat an Raishans Seite. »Ist das wirklich nötig?«, fragte er und deutete auf das blitzende Schwert.
»Wir werden sehen«, versetzte Raishan und schob ihn, ohne den Blick von der Tür abzuwenden, hinter sich. Leicht vornübergebeugt
stand er nun, angespannt und lauernd und elegant. Eine Raubkatze, zum Sprung bereit.
Da wurde die Tür auch schon mit Wucht aufgestoßen und krachte gegen die Wand.
Zwei Diamanten
Über die Schwelle trat eine von Kopf bis Fuß schwarz verhüllte Gestalt. Die Robe, die sie umwogte, schien auch den letzten
noch in der dämmrigen Gaststube verbliebenen Lichtstrahl in sich aufsaugen zu wollen – und so war der Eindringling nicht mehr
als ein Schattenriss.
|544| Zwanzig Schritt vor Raishan blieb er stehen. Dessen Schwertspitze senkte sich kaum merklich, bis sie in Höhe jener unter dem
Kapuzensaum wogenden Schwärze verharrte, die anstelle eines Gesichts zu sehen war.
»Welche sind es?«, drang eine eisige Stimme aus dem dunklen Abgrund unter der Kapuze hervor.
Eine zweite Gestalt glitt herein. Skip spürte einen furchtbaren Stich in seiner Brust und meinte aus unermesslicher Höhe in
die Tiefe zu stürzen.
Kara
.
Ihr Gesicht war eine blasse Maske. Unergründlich blickten ihre violetten Augen. Beide Mantelschwingen hatte sie über die Schultern
zurückgestreift; die Schwärze ihrer Kleidung stand jener der priesterlichen Robe in nichts nach. Mit federnden, lautlosen
Schritten und ganz offenbar entschlossen, ihren Auftrag nötigenfalls bis zum Tod zu erfüllen, gesellte sie sich zu ihm.
»Die beiden Großen«, sagte sie. »Der Blonde und der Dunkelhaarige mit den blauen Augen. Der Dritte ist für Euch nicht von
Interesse, Bruder.«
»Verräterin!«, keuchte Ellah. »Wie konntest du nur?«
Karas Blick schnellte über sie hinweg – ein Stein, der über ebenes Wasser flitscht.
»Du verstehst das nicht«, sagte Raishan in ihre Richtung. »Ihr bleibt keine Wahl, sie
muss
es tun. Nicht, dass das jetzt noch eine Rolle spielen würde.«
Der schwarz verhüllte Priester streckte eine Hand aus. »Und wer ist jener dort?«, fragte er und fasste Raishan in seinen Schattenblick.
Kara
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