Das erste Schwert
senkte sein Schwert. »Ich gebe auf«, krächzte er.
»Nehmt ihm die Klinge ab!«, ordnete der Priester an.
Karas Hände taten eine Bewegung. Die schmalen Klingen, die sie darin hielt, irrlichterten als schwarze Blitze durch die Dämmernis
und verschwanden in der Rückenscheide aus schwarzem, poliertem Holz – eine von oben her, die andere von unten. Dann streckte
sie die Rechte aus und nahm Raishans Schwert entgegen.
»Händigt mir die Waffe aus, Majat-Kriegerin«, fuhr der Priester fort.
Kara schüttelte den Kopf. »Das wird nicht nötig sein, Heiliger Bruder«, tat sie es ab. »Ich bleibe hier und bewache ihn. Ihr
könnt Euch nehmen, weswegen Ihr gekommen seid.«
Kurz herrschte Stille. Dann nickte der Heilige Bruder, wandte sich den gepanzerten Kriegern zu und erteilte seine Befehle.
Im Nu wurde Skip ergriffen und vorwärtsgezerrt.
Er sah, wie Kara den Kopf wandte und das Ganze beobachtete.
»Ihr müsst nicht alle drei Jungen mitnehmen, Bruder«, sagte sie sanft. »Der dritte ist nur durch ein Versehen hier. Lasst
ihn in Frieden ziehen.«
»Wir werden alle drei mitnehmen«, entschied der Priester. »Der Allheilige Vater entscheidet, was mit ihm geschieht. Seid Ihr
gewiss, dass Ihr diesen Mann sicher habt, Majat?«
Karas Blick zuckte zu Raishan zurück. Nach wie vor von einem Dutzend Lanzenspitzen in Schach gehalten, stand der Assassine
breitbeinig, beide Arme ausgestreckt, an der Wand. Er war entwaffnet. Kara hielt ihm die eigene Klinge an die Kehle.
»Ja«, gab sie zur Antwort.
»Sehr gut«, lobte der Heilige Bruder. »Ich lege Euch Euer |553| Unterpfand hier auf diesen Tisch. Ihr könnt es an Euch nehmen, wenn alles getan ist.«
Mit diesen Worten zog er einen Sternendolch aus seiner Robe hervor, der mit dem in seinem Zentrum eingelassenen Diamanten
ganz genau jenem glich, den Skip bei sich trug. Skip sah ihn und spürte eine eisige Stichflamme in sich. Bis zuletzt hatte
er nicht glauben können, dass Kara im Dienste des Feindes stand. Es passte nicht zu ihr. Kara doch nicht. Nun allerdings,
da er mit eigenen Augen ihr Unterpfand in den Händen des Priesters sah, war auch der letzte Zweifel zerstreut. Die Gewissheit
schmetterte ihn nieder. Dagmara hatte sich nicht geirrt. Kara
war
die ganze Zeit ihrer aller Feind gewesen.
Einmal mehr suchte Skip ihre Augen, jedoch hielt sie den Kopf abgewandt und war ganz darauf konzentriert, dass Raishan keinen
alle überrumpelnden letzten Angriff wagte. Wie eine Erscheinung starrte Skip sie an. Doch nicht einmal, als die Wachen ihn
zur Tür stießen, würdigte sie ihn eines Blickes.
Wie gelähmt ließ er alles mit sich geschehen. Fing Raishans Blick – ein warmes Aufglimmen voller Sympathie und Mitleid in
ernsten, grauen Tiefen. Warf einen letzten Blick zu Kara hin; schweißnass klebten ihr die goldenen Haare am Kopf, wie in Stahl
gegossen wirkte ihre Nackenmuskulatur – so stand sie und ließ ihren besiegten Gegner nicht aus den Augen.
Skips Gesicht wurde ganz hart, geblendet schloss er die Lider gegen die Tageshelligkeit.
Kara hatte ihn betrogen.
Er würde sie niemals wiedersehen.
Und plötzlich kümmerte es ihn nicht mehr.
|554| Der Mann mit der Narbe
»Nun lasst es schon gut sein und gebt mich frei«, bat Raishan.
Kara musterte ihn durchdringend. »Wenn
Ihr
mir Euer Wort gebt, Aghat, ihnen nicht zu folgen.«
»Ihr wisst, dass mir das unmöglich ist.«
Sie zuckte mit den Schultern und presste ihm die Klinge fester gegen den Hals.
»Ihr werdet mich töten müssen«, flüsterte Raishan warnend. »Und das werdet Ihr nicht – nicht, wenn Ihr den Kodex beherzigt.«
Sie senkte den Blick hin zu Raishans Klinge in ihrer Hand. »Sollen wir also fortfahren in unserem Kampf?«, fragte sie.
»Das könnten wir wohl«, stimmte Raishan mit wölfischem Grinsen zu. »Und ich bezweifle nicht, dass wir uns auch eine ganze
Weile noch beschäftigt halten könnten, bis wir beide vor Erschöpfung umfallen. Aber mir will’s so vorkommen, als wär’s eine
viel bessere Idee, würden wir Zeit und Kraft sparen und uns einfach an einen Tisch setzen und reden.«
Sie bedachte die Klinge mit einem weiteren Blick.
»Also gut, Aghat Kara«, sagte Raishan. »Ich geb’ Euch mein Wort, dass ich Euch nicht angreife, wenn Ihr die Klinge von meinem
Hals nehmt.«
Sie zauderte noch einen Atemzug lang, dann trat sie zurück und senkte das Schwert. Raishan straffte sich und schüttelte die
steif gewordenen Hände.
»Ein recht hartes
Weitere Kostenlose Bücher