Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das erste Schwert

Titel: Das erste Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
Vom Netzwerk:
und ergoss sich über alles und jeden weit und breit. Und er
     sah, wie das Gesicht des Edelmannes jenen lebhaften Ausdruck trotzigen Widerstandes einfach verlor und von einem Moment zum
     nächsten ausdruckslos und starr wurde.
Lebendig – und doch tot
, durchfuhr es ihn. Und wie ein lebender Toter, so hob er ruckartig und ungelenk die Klinge und setzte sich in Bewegung –
     auf Erle zu.
    Ein Schwertstoß durch’s Herz. Niemand kann das überleben.
    Erle – er ist jenes adlige Kind, das vor so langer Zeit in die Waldlande in Sicherheit gebracht wurde
, dachte Skip. Nach allem, was er aus dem Munde des Allheiligen Vaters gehört hatte, glaubte er es jenseits allen Zweifelns.
    Die Hände, die Skip gepackt hielten, verschwanden plötzlich. Ehrerbietig traten die Priester beiseite, um dem heranwankenden
     Edelmann Platz zu machen. Der so entstandene Luftzug kühlte den eisigen Schweiß auf Skips Gesicht. Dann |591| begriff er: Nun stand es ihnen frei, sich immerhin so weit zu bewegen, wie es die Fesseln zuließen.
    »Erle!«, wisperte er. »Ich zähle auf drei, dann musst du   –«
    Totenstille herrschte mit einem Mal um ihn herum. Skip hielt den Atem an. Doch niemand reagierte. Nach Luft ringend, manövrierte
     er den Kopf herum und sah voller Entsetzen das Gesicht seines Bruders. Mit leblosen Augen, ohne auch nur einmal zu blinzeln,
     stierte er nicht etwa die Schwertspitze an, die ihm gleich in den Leib fahren würde, sondern einen Punkt irgendwo im Dunkel
     des Saales.
    Und plötzlich wusste Skip alles. Böse. Nein, das allein war es nicht. Und der Allheilige Vater setzte auch nicht nur
eine ganz spezielle Macht
gegen sie alle ein, wie er nach ihrer ersten Begegnung im Klosterhof noch befunden hatte.
Der Allheilige Vater trägt selbst die Ghaz Alim in sich. Dank ihrer versteht er es, den Verstand anderer zu verhexen und zu
     kontrollieren.
    Der Edelmann war heran, die Schwertspitze senkte sich und deutete genau in Höhe des Herzens auf Erles ungeschützte Brust.
     Die Zeit stand still. Die Schwerthand wurde, Fingerbreite für Fingerbreite, zurückgezogen. Von oben nach unten beabsichtigte
     der lebende Tote den Stoß zu führen. Seine Armmuskeln zuckten und spannten sich an, mit aller Kraft wurde die Klinge nach
     vorn und unten geruckt.
    Skip warf sich herum und stieß, kaum dass er verkrümmt auf der linken Seite zu liegen kam, die zusammengebundenen Füße mit
     aller Kraft nach rechts, gegen Erles Schulter. Wie eine Statue kippte der Bruder weg von ihm. Die Klinge durchstieß huschend
     nichts als Luft, und der lebende Tote wankte, vom eigenen Schwung aus dem Gleichgewicht gerissen, nach vorn.
    Schneidet meine Fesseln durch!,
flehte Skip den Adligen in Gedanken an.
Ich kann für Euch kämpfen!
    Für meinen Bruder!
    Die Schattengestalt des Allheiligen Vaters wandte sich |592| ihm zu und starrte ihn an. Skip ahnte es mehr, als dass er es tatsächlich sah in der Düsternis.
    Ich kann Eurer Gedankenbeeinflussung widerstehen,
schleuderte Skip ihm lautlos entgegen; es war eine Verzweiflungstat, eine Provokation, um ihn von Erle abgelenkt zu halten.
Ich weiß nicht, wie,
Allheiliger Vater
, aber ich kann es. Und Ihr   – Ihr könnt nichts dagegen tun.
    Es sei denn –
    »Herzog! Unterzieht den Dunkelhaarigen als Ersten der Schwertprobe!«, flüsterte der Hochehrwürdige, und, an die versammelte
     Priesterschaft gewandt: »Ihr Heiligen Brüder! Richtet ihn auf! Hört ihr!«
    Zwei Händepaare zerrten Skip auf die Füße. Er ruckte und wand sich und spie sie an und schnappte wie ein tollwütiger Hund
     nach ihnen, um ihrem Griff zu entkommen, doch nutzte es alles nichts. An Händen und Füßen gebunden, wie er war, blieb er ihnen
     hilflos ausgeliefert. Und der lebende Tote wandte sich wie träumend bereits ihm zu, hob abermals das Schwert und holte zum
     Stoß aus.
    Herzog,
dachte Skip mit in den Nacken zurückgeworfenem Kopf, und alles in ihm spannte sich und bäumte sich auf. Wie durch zugenähte
     Lider hindurch meinte er nur noch alles zu sehen.
    Dann – ein neuer Donnerschlag, dieses Mal einer, der nicht von seinen Worten ausgelöst war. Die schweren Holzportale des Tempels
     schwangen in den uralten Scharnieren ächzend und kreischend auf. Die Wucht dieser Bewegung erschütterte den Tempel bis in
     die Fundamente hinab.
    Der Allheilige Vater ruckte herum – der Helligkeit des Tages entgegen, die sich durch den immer weiter verbreiternden Spalt
     zwischen den beiden Torflügeln gleißend in den steinernen

Weitere Kostenlose Bücher