Das erste Schwert
nämlich. Er war mit Kyth dem Schmied und Erle aufgewachsen und hatte sie als Vater und Bruder lieben gelernt;
nur, um im siebzehnten Jahr aus heiterem Himmel zu erfahren, dass er das einzige Zuhause, das er bis dahin kannte, wie ein
Dieb in der Nacht schnellstens verlassen und eine gefahrvolle Reise in den Norden antreten musste. Kein Mensch hatte ihn darauf
vorbereitet, was ihn am Ziel erwartete. Nicht den kleinsten Mucks hatte er davon vernommen, dass ihm eine
Königsprobe
bevorstehen könnte. Dass jenes Schwert, welches er so stolz trug, schlussendlich allein einem Zweck dienen sollte – nämlich,
ihm von einem völlig Fremden durch’s Herz gestoßen zu werden. Einem Fremden, der jedoch sein wahrer Vater war.
Und auch jener war siebzehn lange Jahre mit sich und seiner Trauer um ein nach der Ghaz Alim-Probe getötetes Kind alleingelassen
worden. Alles um dieses einen Planes willen.
Und noch so viele Fragen lagen ihm auf dem Herzen. Wie kam es, dass Kara und Raishan gleichermaßen in den Waldlanden nach
ihm suchten? Wer waren jene drei Männer, die in den Or’hallas den Edelmann ermordeten? Was für eine |616| Rolle spielte Bruder Nikolaos im großen Plan der Bewahrer? Skip senkte den Kopf unter der Last, die ihm dies alles bedeutete.
Er hatte das Gefühl, es werde ein ganzes Leben dauern, alle Antworten zusammenzutragen.
Raishan war es, der sich nun zu Wort meldete und ein anderes Thema zur Sprache brachte. »Magister – habt Ihr denn schon durchdacht,
was Haghos mit jenen düsteren Andeutungen meinen könnte, die er uns zum Abschied an den Kopf geschleudert hat?«, fragte er.
»Also, mir kam’s reichlich wirr vor.«
Bruder Bartholomeos beugte sich vor, angespannt wie eine Stahlfeder. »Was genau hat er gesagt?«
Raishan zuckte die Schultern. »Von Mächten, die längst im Verborgenen lauern – und dass wir allesamt ahnungslos seien. Und
dass nicht er oder die Priester unser größtes Problem seien. Was die Letzteren ohnedies nicht mehr sind, jetzt, da Haghos
sie nicht länger mit seiner Macht befehligt.«
Egey Bashi strich sich über’s Gesicht, und sein Blick, auf Bartholomeos gerichtet, wurde durchdringend. »Ihr wisst doch etwas,
oder?«, fragte er düster.
Bruder Bartholomeos schwieg lange still, bevor er zu einer Antwort fand. »Nur Gerüchte habe ich gehört«, sagte er. »Über ein
anderes Kloster, irgendwo in den südwärts gelegenen Felsentürmen der
Krone von Bengaw.
Sonderbare Geschichten, wahrlich, von jener Art, über die stets getuschelt wird.«
»Als da wäre?«
»Ihr wisst schon, das Übliche.« Bartholomeos ließ sich gegen die Lehne zurücksinken und trank einen Schluck Ale. »Dass die
Priester jenes Klosters Götzendiener seien und mit Leib und Seele dem Verfluchten Zerstörer Ghaz Kadan huldigen. Und ihr Oberhaupt
sei ein Wesen mit Kräften jenseits alles Vorstellbaren. Viele Geschichten, viel Getuschel – und viel Unsinn, wenn Ihr mich
fragt. Die steinernen Irrgärten |617| tief in den Eingeweiden unseres Klosters hier in Aknabar sind durchtränkt vom Odem grässlicher Taten und somit allzu guter
Laichplatz für aberwitzige Gerüchte.«
Egey Bashi jedoch schüttelte nur den Kopf.
Kara räusperte sich. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mann wie Haghos verschwindet und alles, was ihm hier widerfahren
ist, einfach auf sich bewenden lässt. Zu übergroß sind sein Ehrgeiz und seine Ghaz Alim-Begabung.«
Bashi schmunzelte. »Ihr nehmt’s mir vorweg, Aghat Kara«, sagte er. »Ehrgeiz und Begabung. Auch mit Worten wisst Ihr umzugehen!
Und ja, ich geb’ Euch recht. Wir werden wieder von diesem unserem einstigen gar nicht heiligen Allheiligen Vater hören, ob
wir das nun wollen oder nicht. Solange er irgendwo dort draußen umherstreift, ist er eine Gefahr. Darauf stellen wir uns besser
schnellstens ein.«
»Er wird also ... wiederkehren?«, fragte Erle.
»Niemand vermag zu sagen, was in seinem Hirn vorgeht, ob seine Drohungen nur haltloses Geschwätz waren oder mehr. Auch wissen
wir nicht, ob dunkle Mächte hinter ihm stehen oder um welche es sich handeln könnte. Nur eines wissen wir – wozu er fähig
ist. Und dass wir vorerst zur Tatenlosigkeit verurteilt sind.«
»Und was wird nun aus dem Kloster?«
»Haghos’ Ghaz Alim war den höchstrangigen Priestern kein Geheimnis«, erwiderte Bartholomeos. »Doch nun, da dies vor aller
Welt enthüllt wurde, bleibt ihnen keine andere Wahl, als ihn zu ersetzen. Sie werden
Weitere Kostenlose Bücher