Das erste Schwert
Kara eindringlich. »Ich habe Pfuhlgänger-Karten studiert. Es gibt
nur eine Route, auf der wir ganz und gar unbemerkt in die Sumpfstadt gelangen – und zwar diese hier, durch den Dunklen Pfuhl.«
»Durch den Pfuhl?«, entfuhr es Skip, Erle und Ellah gleichzeitig.
»Ja«, sagte Kara, als beantworte sie eine ganz gewöhnliche Frage.
Skip wollte etwas sagen – und fand keine Worte. Genau wie Ellah, der es zumindest gelang, die Fäuste zu ballen. Schließlich
war es Erle, der sprach: »Wir können nicht durch den Pfuhl gehen«, sagte er: »Da du fremd bist in dieser Gegend, magst du
das nicht wissen, aber der Pfuhl ist keinesfalls nur ein dunkler Fleck auf der Karte. Das ist ein gefährlicher Ort. Niemand
geht durch den Pfuhl zur Sumpfstadt. Zumindest niemand, der noch recht bei Verstand ist.«
»Sumpfwanderer schon«, widersprach Kara gelassen.
»Pfuhlgänger. Sie nennen sich
Pfuhlgänger
. Und sie haben Erfahrung darin!«, protestierte Skip. »Jeder einzelne von ihnen kennt den Pfuhl von Geburt an. Sie bewegen
sich ihr ganzes Leben lang auf diesen Pfaden!« Erst als das letzte Wort ausgesprochen war, ging ihm auf, wie lächerlich sich
das alles anhörte. Ein Blick auf Kara genügte, und man wusste, dass sie so etwas nicht beeindruckte.
Ellah brachte sich mit einem Schnauben in Erinnerung. |130| »Und? Wann wolltest du uns von diesem Plan erzählen?«, fragte sie und ließ die grünen Augen blitzen.
Abermals huschte der Hauch eines Lächelns über Karas Lippen. »Gar nicht«, sagte sie.
»Aber –«
»Ich dachte, ihr drei hättet euch dazu durchgerungen, mir zu vertrauen.« Karas Stimme klang immer noch unaufgeregt, aber zumindest
Skip hörte den ungeduldigen Unterton sehr wohl heraus. »Wenn nicht – auch gut. Es steht euch jederzeit frei, eure Meinung
zu ändern. Meinetwegen müssen wir nicht unbemerkt bleiben. Ich hab die ganze Geheimniskrämerei nicht nötig. Aber wenn euch
die Priester schnappen und euch fragen, warum ihr ausgerechnet am Morgen vor der Probe aus Eichenhain wegwollt, dann werde
ich nicht in der Nähe sein, das könnt ihr mir glauben.«
Sie schwiegen.
»Bist du sicher, dass du uns durch den Pfuhl bringen kannst?«, fragte Erle schließlich.
»Ja.«
»Es ist eine vierköpfige Gruppe«, brummte Ellah und strich sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem erhitzten Gesicht.
»Ich denke, wir sollten abstimmen.«
Skip schüttelte langsam den Kopf. »Ich bin Karas Meinung. Wir müssen vermeiden, gesehen zu werden. Es wäre übel, wenn sie
uns jetzt erwischen würden, vor der Probe – und außerhalb Eichenhains.«
Und noch viel übler, wenn uns dieser Diamant-Assassine auf der Straße einholen würde,
fügte er im Stillen hinzu.
»Wir sollten weitergehen«, stimmte auch Erle zu. »Wenn wir noch lange hier herumstehen, verlieren wir den Vorteil unseres
frühen Aufbruchs.«
Kara wartete gerade noch so lange, bis sie alle ihr Reisegepäck wieder aufgenommen hatten, dann wandte sie sich um und folgte
dem kaum sichtbaren Pfad tiefer in den dicht verfilzten |131| Wald hinein. Keiner von ihnen sprach mehr. Vom Tau schweres Gras raschelte geheimnisvoll unter ihren Sohlen und bedeckte ihre
Spuren sogleich wieder. Skip zog seinen Mantel fester, obwohl er vor der kalten Feuchtigkeit, die seine Hosenbeine durchnässte,
nicht schützte.
Der Pfad schlängelte sich durch das dichte Unterholz des Waldes und führte in einer kaum merklichen Neigung beständig abwärts;
mehr und mehr wich der vertraute, feste Grund der Wirrholz- und Hain-Dörfer dem federnden, schlammigen Boden des Pfuhls. Noch
nie hatten sie sich dermaßen weit nach Westen gewagt. Instinktiv hielten sich Skip, Ellah und Erle dicht beieinander hinter
Kara und ihrem Pferd – und so weit entfernt von dem ringsumher wogenden, wispernden Wald, wie dies ein solch erbärmlich schmaler
Wildwechsel eben gestattete.
Skip war in den Wäldern aufgewachsen, und er verstand nicht, warum dieser Teil des Forsts ihm solches Unbehagen einflößte.
Vielleicht gerade weil sie in nächster Nähe des Dunklen Pfuhls herangewachsen waren und all die grausigen Geschichten gehört
hatten, die man sich von ihm erzählte. Viele jener Geschichten mussten von Eltern erfunden worden sein, um ihre Kinder von
diesem Ort fernzuhalten. Im unheimlichen grün-grauen Zwielicht des Waldes aber fiel es leicht, sie Wort für Wort zu glauben.
Was, wenn im Pfuhl
wirklich
die ungeheuerliche Waldfrau auf der Lauer lag und
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