Das erste Schwert
der letzten Frage? Wer garantiert
ihnen, dass du jene bist, für die du dich ausgibst?«
»Niemand«, gab Kara ihr schroff zur Antwort. »Ich schätze, ihr werdet euch mit meinem Wort begnügen müssen.« Und damit zog
sie lautlos die Tür auf, huschte hinaus und war in Nacht und feuchtkaltem Nebel verschwunden.
Skip und Erle eilten ans Bett ihres Vaters. Seine Wangen waren bleich, und seine Augen glänzten fiebrig.
Er ist so schwach,
durchfuhr es Skip.
Der Vater stemmte sich hoch und nahm das Tuch von seiner Stirn. »Erle«, wandte er sich dem Älteren zu. »Ich will, dass du
meine Axt nimmst.«
Schrecken und Verlangen mischten sich in Erles Augen. Die Axt war eine gewaltige Waffe.
»Du verstehst dich gut darauf, sie zu handhaben«, fuhr der Vater fort. »Außerdem kannst du eine solche weite Reise |127| nicht ohne eine gute Waffe antreten.« Er bückte sich, nahm die Axt und drückte Erle den glatten hölzernen Griff in die Hand.
Dann sah er Skip an. »Und was dich anbelangt«, sagte er, »so ist eine Axt keine Waffe für dich. Du brauchst etwas Leichteres.
Warum nimmst du also nicht die Klinge?«
Ungläubig senkte Skip die Augen und starrte das Schwert an, das in seiner Scheide geborgen nach wie vor auf dem Bettrand lag.
»Ich?«, war alles, war er über die Lippen brachte.
Vater schmunzelte. »Ich seh genau, dieser Stahl spricht etwas tief in dir an«, sagte er. »Nimm das Schwert. Eines Tages, so
hoffe ich, magst du es mit der Tapferkeit und Eleganz der Nordkrieger zu führen lernen. Bis es allerdings so weit ist, kann
es dir allemal als guter Schutz dienen. Denk nur immer daran, niemandem den Griff zu zeigen.«
Skip nahm das Schwert an sich. Die Schwingungen des von der Scheide umhüllten Stahls übertrugen sich auf seinen Körper und
fanden tief darin ihren Widerhall. Das Schwert. Er würde es tragen. Ab jetzt war es seine Waffe.
»Aber es gehört den Bewahrern, Vater«, murmelte er.
Der Vater legte den Kopf schief. »Möglicherweise werden sie es dir abnehmen, ja. Doch dafür, dass du es ihnen gebracht hast,
kannst du gewiss ein anderes fordern.«
Skip beugte sich vor und küsste des Vaters raue, bärtige Wange. Spürte seine Umarmung. Das Zittern seiner Hände. Vernahm das
Flüstern an seinem Ohr. »Sei vorsichtig, Sohn, und komm gesund zurück, ja?«
|128| Geänderte Pläne
Es war früh am Morgen. Die Nachtkälte hing noch in der Luft und lauerte zwischen den Tröpfchen der grauen Nebel. Im Osten
über der Grasland-Ebene war es schon hell, aber es würde noch eine Weile dauern, bis am Himmel erste Farbtönungen aus Zartrosa
und Gold auftauchten. Kein Vogel regte sich weit und breit, unheilvolle Stille herrschte allgegenwärtig. Skip unterdrückte
ein Frösteln, richtete in fliegender Hast die Tragegurte seines Rückenbündels und beeilte sich, zu den anderen aufzuschließen.
Kara führte ihr Pferd am Zügel und marschierte an der Spitze der kleinen Gruppe. Der graue Mantel umwogte ihre schlanke Gestalt
wie Spinnengewebe bis hinab zu den Sohlen der weichen Lederstiefel. Ihr aufrechter Gang und die geschmeidige Anmut ihres Ausschreitens
verrieten einige Ausdauer und Kraft
. Ein Glück, dass sie bei uns ist
, dachte Skip. Vorerst schien es nicht wichtig, dass sie erst noch entscheiden würde, wie weit sie mit ihnen gehen wollte.
Sie hatten gerade erst das letzte Gebäude Eichenhains hinter sich gelassen, als Ellah langsamer und langsamer wurde und unvermittelt
stehenblieb. »Wohin bringst du uns?«, rief sie aufgebracht hinter Kara her. Skip vermied es nur knapp, mit ihr zusammenzustoßen.
Kara blieb stehen und drehte sich um. Skip spürte, wie sich sein Magen verkrampfte, und schritt noch gemächlicher aus; sollten
die beiden das ruhig unter sich austragen.
»
Wir
gehen Richtung Norden«, schnurrte Kara. »Und wenn mich nicht alles täuscht, sollen wir
dich
unterwegs in der Sumpfstadt absetzen.«
Ellah kochte, und Skip glaubte Hitzewellen zu spüren; doch widerstand er dem Impuls, ihr beruhigend auf die |129| Schulter zu klopfen. Insgeheim war er nicht minder neugierig darauf, zu erfahren, warum sie dermaßen abrupt die Hauptstraße
verlassen und sich diesem kaum erkennbaren Trampelpfad anvertraut hatten, der tiefer in den Wald hineinführte.
»Die Straße verläuft
dort drüben
!«, sagte Ellah und gab sich alle Mühe, Karas herablassenden Tonfall nachzuahmen. Was ihr gar nicht gut gelang.
»Es ist zu gefährlich, auf der Straße zu reisen«, erwiderte
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