Das erste Schwert
ein wenig abseits an, zwischen dichten, struppigen
Rabaugenbüschen.
»Bleibt hier«, befahl sie. »Ich werd’ unsere Spuren verwischen.«
Sie ging den ganzen Weg noch einmal, glättete die Dellen, die von ihren Fußabdrücken übrig geblieben waren, und streute Blätter
darüber. Aus der Ferne und Sicherheit ihres Verstecks betrachtet, sah alles ziemlich echt aus. Falls ihr mysteriöser Verfolger
jedoch anhielt, um die Spuren genauer zu prüfen, würde er die Täuschung wahrscheinlich bemerken.
Hinter einer knorrigen Wurzelwölbung zusammengekauert, zählte Skip seine Herzschläge, bis er es nicht mehr aushielt und den
Kopf ein wenig anhob; deutlich vermochte er jenen Teil des Wegs zu überblicken, den sie soeben verlassen hatten. Still und
verlassen brütete er im grünen Zwielicht des Waldes. Doch dort, wo er hinter einer Biegung außer Sicht verschwand, wippte
ein Ast; ein einziges Mal.
»Bist du sicher, dass du was gehört hast?«, hauchte Ellah zu Kara hinüber.
»Mindestens ein Reiter folgt uns, aber hinter ihm könnten noch mehr kommen.«
»Wenn das stimmt, hast du das Gehör eines –« Abrupt brach Erle ab, und gleichzeitig sah auch Skip die Bewegung – rechter Hand, in jener Richtung, aus der sie gekommen
waren, halb verdeckt vom Geäst.
Langsam tauchte dort eine Gestalt auf. Skips Herzschlag setzte aus. Ein unangenehmes Gefühl von Leere füllte seine Brust.
Dann hämmerte sein Herz weiter – rasend schnell, viel zu laut.
|135| Es war ein einzelner Reiter. Er trug einen zerschlissenen Kapuzenmantel von einer Farbe, die auf den ersten Blick grün
und
braun wirkte. Jedoch war der Mantel lediglich an vielen Stellen geflickt – und dieses Flickwerk bildete eine perfekte Tarnung
im wabernden Dämmerlicht des Waldes. Hätte sich der Mann nicht bewegt, er wäre so gut wie unsichtbar gewesen.
Aber nicht der Anblick des Mannes oder seines Mantels verschlug Skip den Atem. Nein, es war sein monströses Reittier, dieses
Echsen-Ungeheuer mit grauer Schuppenhaut, flachem Dreiecksschädel und gelben Augen. Dem Schenkeldruck seines Herrn gehorchend,
bewegte es sich in geradezu unfasslicher Langsamkeit Handbreit um Handbreit voran. Jeder menschliche Fährtensucher wäre schneller
ausgeschritten. Und natürlich war Skip auch die weiße, sichelförmige Narbe nicht entgangen – direkt unterhalb des rechten
Auges.
Dieselbe Narbe hatte er schon einmal gesehen, gestern abend im Stallhof des Wirtshauses.
Ich würd’ sagen, er kommt aus dem Norden. Dunkler Mantel, jede Menge Waffen,
hatte Ivan gesagt.
Unmöglich, festzustellen, was der Reiter unter seinem Mantel am Leibe trug, doch war er weit genug geschnitten, um ein ganzes
Arsenal zu verbergen.
Stummes Entsetzen in den weit aufgerissenen Augen, wandte Skip sich zu seinem Bruder um.
Der Diamant-Assassine war tatsächlich hinter ihnen her.
|136| Verfolgt
Als der Reiter jene Stelle erreichte, an der sie den Weg verlassen hatten, beugte er sich im Sattel vor und zügelte sein Reittier
zu einem jähen Halt. Wie ein Schlagwerk hämmerte das Blut in Skips Schädel. Mit angehaltenem Atem starrte er und beobachtete,
wie sich der Mann über den Nacken des Ungeheuers beugte und den Boden absuchte. Und in einer einzigen gleitenden Bewegung
absaß, in die Hocke ging und die Spuren aus nächster Nähe studierte.
Skip hielt die Luft in seiner Brust gefangen. Er wagte es nicht, auszuatmen, wagte es nicht, weiterzuatmen. Bestimmt trug
diese klamme Luft jedes noch so winzige Geräusch weit, sehr weit. Tatsächlich glaubte er, seinerseits den zischenden Atem
des Echsen-Ungeheuers zu hören, und sogar das Knarren der Lederstiefel des Mannes, als jener sich nun halb drehte und forschend
in die grünlichen Schatten spähte.
Karas Pferd
, dachte Skip.
Wenn es jetzt auch nur den geringsten Laut von sich gibt, sind wir tot.
Der Mann verharrte in seiner geduckten Haltung. Völlig reglos, ganz auf sein Gehör konzentriert. Dann richtete er sich langsam
auf und ging, den Blick auf den trügerischen Grund gerichtet, weiter. Das Echsen-Ungeheuer machte Anstalten, ihm zu folgen,
doch eine Handbewegung des Mannes ließ es innehalten. Lauernd vornübergebeugt ging er allein weiter und suchte den Pfad ab.
Schließlich kehrte er um, straffte sich, griff nach den Zügeln der Echse. Einen Moment lang stand er so still, dass er eins
wurde mit der schaurigen Dämmernis des Pfuhls.
Skips Lunge verwandelte sich in einen kreischenden Dämon.
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