Das Erwachen
von ihnen begafften die Wiccas ganz offen, andere taten, als sei die Gegenwart von so vielen Menschen in schwarzen Umhängen gar nichts Besonderes.
An der Rezeption fragte er, ob ein Ehepaar DeVeau abgestiegen sei, und war überrascht, von dem Angestellten zu hören, dass die beiden gestern am späten Abend noch eingetroffen seien, und er werde sie gerne für Finn anrufen. Doch das war gar nicht nötig, denn plötzlich hörte er seinen Namen.
»Finn!«
Er drehte sich um.
Im ersten Moment war der Anblick von Lucian DeVeau in der Halle so zermürbend wie alles andere, das sich seit seiner Ankunft hier ereignet hatte. Der Mann war in etwa so groß wie er selbst. Er trug keinen Wicca-Umhang, sondern eine Art langen schwarzen Staubmantel, der seine Statur noch größer, die Augen und sein Haar noch dunkler wirken ließ. Jade folgte ihm; sie war in einen langen, leichten, ausgezeichnet passenden Wollmantel gekleidet, ebenfalls in Schwarz, der aber die gegenteilige Wirkung hatte. Ihre Augen und Haare waren hell und verliehen ihr eine beinahe engelhafte Aura. Die Schöne und das Biest, dachte Finn spontan. Nur dass Lucian klassische Züge hatte und wirklich unwiderstehlich aussah, einem »Biest« also kaum entsprach.
»Hallo«, sagte er einfach, den Blick auf die beiden gerichtet. Dann ging er auf sie zu, schüttelte Lucian die Hand und begrüßte Jade mit einem Küsschen. »Ihr habt tatsächlich hier im Hotel noch ein Zimmer bekommen? Ich habe erst nach unserem Gespräch daran gedacht, dass sie um Halloween hier immer schon weit im Voraus ausgebucht sind. Ich habe befürchtet, ihr würdet Schwierigkeiten bekommen.«
»Ja, sie waren schon ziemlich ausgebucht«, erklärte Jade munter mit einem Blick auf ihren Mann. »Aber Lucian hat mit dem Manager gesprochen. Sie fanden noch ein kleines Zimmer, das wegen einiger Probleme nicht vermietet worden war. Wir haben ihnen einfach gesagt, uns würde das nichts ausmachen. Und so … schön, Sie zu sehen, Finn.«
»Danke.« Er zögerte. Sie hatten gesagt, sie würden ohnehin kommen. Finn fragte sich, ob er das glauben sollte oder nicht. Und jetzt … war er nicht sicher, ob er mit ihnen reden konnte, ob er ihnen all diese wahnwitzigen Erlebnisse erzählen konnte, die womöglich nur in seinem Kopf stattfanden. »Mmmh – danke fürs Kommen«, sagte er.
»Wir freuen uns, hier zu sein«, erklärte Lucian. Er klang sehr ernst. Nicht wie jemand, der sich auf einen kurzen Urlaub freute.
Finn gab sich zu seinem eigenen Erstaunen trotzdem unbeschwert. »Es ist unglaublich hier, wirklich. Sie haben sich mit all den Veranstaltungen verdammt viel Mühe gemacht. Es gibt alle möglichen Stände für Kinder, wo sie Kürbislaternen schnitzen, Figuren ausschneiden und viele andere kleine Kunstwerke basteln können. Straßenkünstler treten auf, es gibt fabelhafte Läden – und großartige Museen. Solche, die sich mit der Zeit der Hexen befassen, aber auch andere. Zahlreiche, wunderbare Möglichkeiten, sich über das koloniale Amerika zu informieren oder auch die Seefahrerei – die große Zeit des Walfangs, und so weiter. Es ist wirklich erstaunlich.«
»Ja, es ist ganz wunderbar hier«, pflichtete Lucian ihm bei. »Haben Sie schon zu Mittag gegessen?«
Finn beschloss, nicht zu sagen, dass er eben erst gefrühstückt hatte. »Nein. Hier gibt es natürlich Dutzende von Lokalen. Und wenn ihr gern Fisch esst, dann müsst ihr unbedingt den Kabeljau von hier probieren.«
»Warum gehen wir nicht einfach los und sehen, was wir finden«, meinte Jade.
»Großartig.«
Sie traten auf die Straße hinaus. Einen Tag vor Halloween schien der Ort geschäftiger als je zuvor. Es war kühl, und eine leichte Brise wehte, die das Herbstlaub auf dem Boden aufwirbelte. Während sie dahinschlenderten, zeigte Finn immer wieder auf interessante Lokalitäten, doch plötzlich unterbrach er sich. »Entschuldigung. Vielleicht wart ihr ja schon einmal hier.«
»Ich seltsamerweise noch nicht«, sagte Lucian.
Finn musterte ihn. »Ich finde das gar nicht seltsam. Ich bin bisher auch noch nie hier gewesen. Ich bin sicher, viele Amerikaner haben viele interessante Orte ihres Landes noch nicht gesehen. Äh – sind Sie Amerikaner?«
»Ja, es ist jetzt meine Heimat«, antwortete Lucian.
Ehe er weitersprechen konnte, meldete sich Jade zu Wort. »Finn, von der anderen Seite der Straße winkt Ihnen jemand zu.«
Finn blickte auf. An der gegenüberliegenden Ecke stand Darren Menteith, mit seinem Hund Lizzie an der
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