Das Erwachen
wünschen«, schlug er vor.
Megan lächelte ihm anerkennend zu. »Das machen wir«, sagte sie leise, doch er war wieder sicher, dass sie davon ausging, dass Andy die Karte nie zu lesen bekam. Aber immerhin war das etwas, das man tun konnte.
»Ich kaufe eine in dem kleinen Geschenkladen«, erbot er sich. »Bin gleich wieder hier.«
Der Laden war in der Tat klein. Es dauerte nur eine Minute, bis er eine passende Karte gefunden hatte. Doch als er an die Information zurückkam, war Megan verschwunden.
Panik erfasste ihn. Es fühlte sich an, als würde sich eine eiserne Faust um sein Herz schließen. Im ersten Moment konnte er nicht atmen. Dann schien es ihn die größte Anstrengung seines Lebens zu kosten, die Fassung wiederzuerlangen. Seine Fingernägel krallten sich beinahe in die Theke, als er sich dagegenlehnte und die Rothaarige fragte: »Wo ist meine Frau?«
Offenbar hatte er seine Furcht besser verborgen, als er angenommen hatte, denn sie schrie nicht auf und rief nicht nach der Polizei. Doch sie runzelte die Stirn, als sei ihr seine unterschwellige Anspannung bewusst, und antwortete ihm so freundlich, wie sie konnte: »Martha hat sie mitgenommen.«
»Martha? Sie kennen Martha? Sie meinen doch die Tante meiner Frau, oder?«
»Natürlich kenne ich Martha – Salem ist eine Kleinstadt. Die meisten Leute kommen mit ihren großen und kleinen Wehwehchen hierher. Martha ist mit den meisten Ärzten befreundet – und sie arbeitet auch ehrenamtlich hier.« Sie sah ihn an, als wolle sie ihm nicht mehr sagen – als ginge im Krankenhaus Zweifelhaftes vor sich –, doch dann erklärte sie seufzend: »Martha ist für den alten Andy wahrscheinlich der Mensch, der einem Verwandten am nächsten kommt. Also, sie sind nicht verwandt, aber sie kennen sich seit Jahrzehnten.
Sie streiten zwar auch immer wieder, aber sobald Martha hörte, was Andy passiert ist, war sie sofort hier, und die Ärzte glauben, manchmal kann ein freundliches Wort einen Menschen, der im Koma liegt, erreichen. Also … Martha hat Ihre Frau für einen Moment mit zu ihm hinaufgenommen.«
Finn war erst einmal erleichtert. Dann fragte er: »Er wird wohl nicht durchkommen, oder?«
»Ich bin kein Arzt«, erwiderte sie leise. Es überraschte ihn, dass sie ihm trotz seiner momentanen Stimmung direkt in die Augen sah und offenbar bereit war, mit ihm zu reden. Kopfschüttelnd fuhr sie fort: »Andy ist ein alter, alter Mann. Er hat einige schreckliche Verletzungen abbekommen. Von einem schnell fahrenden Auto erfasst zu werden … das ist in etwa, wie wenn man mit einem Dutzend Bleirohren zusammengeschlagen würde. Jedenfalls liegt jetzt alles in Gottes Hand.«
»Dankeschön«, sagte Finn.
Zu guter Letzt lächelte sie doch noch. »Warten Sie hier im Eingangsbereich. Sie wird gleich wieder hier sein. Meine Freundin Dorcas ist die Schwester, die für Andy zuständig ist – sie lässt niemanden länger als ein, zwei Minuten zu ihm, das versichere ich Ihnen. Ich würde Ihnen ja gern sagen, gehen Sie schnell hinauf, aber es könnte Dorcas ihre Stelle kosten, wenn noch mehr Leute versuchen würden, zu ihm ins Zimmer zu kommen, vor allem, falls Andy … na ja, Sie wissen schon. Falls es nicht gut um ihn steht.«
»Ich verstehe«, sagte Finn, und das entsprach der Wahrheit. Doch er blieb an die Theke gelehnt, und als ein Besucher kam und nach der Entbindungsstation fragte, blickte er auf den Monitor und stellte zufrieden fest, dass darauf eine Liste der Zimmernummern zu sehen war.
Er setzte sich in eine der Sitzgruppen und tat, als würde er eine der dort ausgelegten Zeitschriften lesen. Doch sobald die Aufmerksamkeit der Rothaarigen von einem neuen Besucher in Anspruch genommen wurde, ging er zu den Aufzügen.
Effizienz war in Dorcas Brandts Wirkungsbereich die Losung des Tages. Megan fand sich innerhalb von Minuten verwandelt – Andy hatte keine ansteckende Krankheit, aber offenbar konnte eine Lungenentzündung bei seinem Alter und Zustand zum Zünglein an der Waage werden. Zusammen mit Martha und Dorcas betrat sie sein Zimmer deshalb mit Mundschutz und Operationskittel.
Martha trat mit wässrigen, geröteten Augen stumm an das Krankenbett.
Andy hing an einem Wirrwarr von Schläuchen. Dünne, fast transparente Gummiröhrchen unterstützten seine Atmung. Über eine Infusion wurde er ernährt und mit Wasser versorgt. Ein Monitor zeigte seine Herztätigkeit an. Seine Augen waren schwarz unterlaufen oder so tief in die Höhlen eingesunken, dass sie so wirkten.
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