Das Erwachen
an.
Finn zuckte die Achseln. »Da draußen läuft Mr Fallon mit einer großen Tasche. Er hat wohl einen Touristen-Einkaufsbummel gemacht, wie es aussieht.«
Mike drehte sich um und schaute ebenfalls aus dem Fenster. Es stimmte. Fallon stand vor einem der Geschäfte, dessen Firmenschild es als »Hexenladen« auswies.
»Wer hätte das gedacht, hm?«, sagte Mike trocken.
»Jeder mischt also ein bisschen mit«, murmelte Megan.
»Nicht jeder«, korrigierte Mike. »Aber hey, die meisten Leute, die Salem besuchen, kommen wegen seiner Geschichte – und natürlich wegen des Spaßes, der damit verbunden ist. Mütter kaufen ihren Töchtern allen möglichen Schmuck in solchen Läden; manche verkaufen auch wunderschöne viktorianische Puppen und solche Sachen. Schlaue Bücher und Öle – ganze Massen von Leuten fahren auf diese Duftöle ab, ob sie nun an irgendeine Wirkung glauben oder auch nicht. Ich hatte eines Tages im Museum eine Besucherin mit Taschen voller Mörser und Stößel – die waren allerdings nicht für Hexerei und Zauber gedacht. Sie brauchte sie, weil ihre fünf Kinder herausgefunden hatten, dass sich die Dinger bestens für naturwissenschaftliche Versuche eignen.«
»Alles, was sich verkaufen lässt, wird auch verkauft, stimmt’s?«, kommentierte Finn.
»Und ob. Und das ist auch gut so. Eines der Geisterhäuser wird von einem ganz hervorragenden Mann geführt. Am Anfang erzählt er den Kindern, dass das alles nur Spaß ist und das ganze Gegrusel von einem gemacht wird, der im Dunkeln vor ihnen herläuft und Krach schlägt und plötzlich Gegenstände auftauchen lässt. Und wenn jemand wirklich Angst bekommt, bricht er einfach ab und führt die Gruppe hinaus. Die Furcht sitzt für gewöhnlich im Kopf«, sagte er mit einem leichten Lächeln auf Megan.
»Furcht kann real und auch vernünftig sein«, hielt Finn nüchtern dagegen. »Megan, hast du ihm erzählt, dass du letzte Nacht auf dem Parkplatz überfallen wurdest?«
Mike musterte sie angespannt. Komisch, sie hatte so viel erzählt, aber davon kein Wort. Vielleicht, weil ihr Morwennas Worte noch immer wehtaten. Konnte sie mit Sicherheit sagen, dass noch jemand dort gewesen war? Außer Finn?
Sie betrachtete ihren Mann im hellen Licht des Tages. Sie wusste, dass er manchmal verärgert war, eigenwillig, entschlossen, ungeduldig, leidenschaftlich … und zärtlich. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen und glauben, dass er sie nicht liebte, eher manchmal zu heftig.
Sie biss die Zähne zusammen, fest entschlossen, das Gefühl von Unbehagen, das Morwenna in ihr wachgerufen hatte, abzuschütteln.
Ihr Mann mochte viele Eigenschaften haben, aber ein Dämon war er sicher nicht.
»Jemand hat mir aufgelauert. Mir ist nichts passiert, aber Finn ist in eine Rangelei geraten – mit wem auch immer.«
Mike musterte Finn eindringlich. »Du bist zur Polizei gegangen, ja?«
»Das mussten wir gar nicht; ein Polizist, der immer kommt, wenn wir auftreten, war da. Sie werden jetzt mehr Sicherheitspersonal auf dem Parkplatz postieren.«
»Ihr müsst wirklich aufpassen«, warnte Mike ernst. Er blickte Megan an und schien ängstlich oder nervös zu sein. »Ihr wisst schon … sie haben den Kerl noch nicht gefasst, der in Boston das Mädchen ermordet hat. Und wir sind hier verdammt nahe dran.«
»Ein Mörder, der vor einem Monat in Boston zugeschlagen hat, könnte inzwischen überall sein«, sagte Finn, »aber das gehört nicht zur Sache. Jede junge Frau da draußen muss vorsichtig sein, denn auf dieser Welt laufen eine Menge Psychopathen herum, die es auf die Verletzlichen abgesehen haben, und das sind in der Regel eben Kinder und junge Frauen.«
»Ich bin vorsichtig«, erklärte Megan.
»Du solltest wirklich nirgendwo alleine hingehen«, meinte Mike. »Nirgendwo. Gemeinsam ist man stark, wie du weißt.«
»Ich bin vorsichtig«, wiederholte Megan. Sie wusste nicht, warum, aber sie hatte das Gefühl, als würde auch Mike sie vor Finn warnen – er riet ihr nicht, immer an der Seite ihres Mannes zu bleiben, sondern eher, dass sie immer viele Menschen um sich haben sollte.
»Da«, sagte Mike, »schaut, da bringen sie es schon wieder im Fernsehen.«
Über der Bar hing ein Fernseher, in dem Lokalnachrichten liefen. Die Lautstärke war heruntergedreht gewesen, doch nun stellte eine junge Angestellte mit einer Fernbedienung in der Hand sie höher. Die Sprecherin wiederholte, was sie eben gesagt hatten; sie empfahl, an diesem Halloween besonders vorsichtig zu sein, und
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