Das Erwachen
Erstaunlicherweise hatte er sich nichts gebrochen – er war einfach nur vom Scheitel bis zur Sohle von Blutergüssen übersät und bewusstlos. Bisher war er noch nicht zu sich gekommen, sondern trotz aller Wiederbelebungsversuche in der Notaufnahme ins Koma gefallen. Aber sein Herz schlug, und auch die Lunge arbeitete selbstständig. Und Dorcas versicherte Megan, in seinem Hirn würden jede Menge Aktivitäten ablaufen.
Er sah entsetzlich aus.
Quer über seine Stirn verliefen Nähte; das weiße Haupthaar war zum Teil rasiert worden. Sein Gesicht war leichenblass und ausgezehrt.
»Andy, du alter Trottel, was hast du bloß da draußen auf der Straße gesucht!«, schimpfte Martha leise und blickte zu Dorcas, die ihr zunickte. Martha schüttelte vorsichtig seine Hand. »Andy, du musst aufwachen, du musst uns sagen, dass mit dir alles in Ordnung ist.«
Von Andy kam keine Bewegung. Noch nicht einmal ein Augenzwinkern.
Martha strich zärtlich über seine Hand, ging dann zu Dorcas am Ende des Zimmers und unterhielt sich flüsternd mit ihr. Megan trat an das Bett. Sie biss sich auf die Lippe, denn auch sie spürte Tränen in den Augen – selbst wenn sie diesen Mann nicht kennen würde, hätte sein Zustand sie tief berührt.
»Andy, Sie sind ein Kämpfer. Und Sie werden hier gebraucht, das wissen Sie doch«, murmelte sie. Obwohl sie sich etwas fehl am Platz fühlte – und fast ein wenig wie eine Betrügerin, denn schließlich war sie keine lebenslange Freundin –, ergriff auch sie seine Hand, wie Martha es getan hatte.
»Kommen Sie, Andy, Sie müssen es schaffen.«
Sie spürte eine winzige Bewegung an den Fingern, da, wo er ihre Hand berührte. Ihr Blick richtete sich auf die Stelle, als könne sie dadurch verstehen, was sie gefühlt hatte. Nichts. Doch als sie wieder in sein Gesicht schaute, blieb ihr vor Schreck fast das Herz stehen. Seine Augen waren offen. Sie starrten auf Megan oder irgendwie über sie hinweg. Andy schien auf etwas jenseits des Zimmers zu starren.
Seine Lippen bewegten sich.
Doch sie konnte ihn nicht verstehen.
Megan beugte sich zu ihm. Es klang gar nicht wirklich wie eine Stimme, mehr wie ein mechanisches Schnarren.
»Bac-Dal will dich. Ich muss dabei sein. Werde dabei sein. Das Böse muss gestoppt werden. Das Böse … da! Bac-Dal will dich.«
Megan ließ seine Hand fallen und trat erschrocken einen Schritt zurück.
»Martha! Martha … Dorcas. Er bewegt sich, er spricht!«, sagte sie fassungslos, den Frauen zugewandt.
Die beiden unterbrachen ihre geflüsterte Unterhaltung und eilten sofort ans Bett.
»Da …«, sagte Megan.
Da. Andys Augen waren wieder geschlossen. Seine Lippen ebenfalls. Er lag da wie zuvor.
Dorcas zog ein Augenlid hoch und prüfte die Pupille mit ihrer kleinen Taschenlampe, dann die andere. Sie zählte seine Pulsschläge und betrachtete die Monitore um das Bett herum.
Schließlich schüttelte sie den Kopf und blickte Megan fest an.
»Nein, meine Liebe, er kann nicht gesprochen haben. Und wenn er sich bewegt hat, dann war es wohl nur ein simpler Reflex. Sein Zustand ist vollkommen unverändert.« Sie starrte Megan an, als würde sie sich fragen, ob sie eine hoffnungslose Idiotin vor sich habe oder jemanden, der aus unerfindlichem Grund ein Chaos veranstalten wolle.
»Aber … ich habe gesehen, dass seine Augen offen waren. Ich habe gesehen, wie sich seine Lippen bewegten. Ich habe ihn doch gehört«, beharrte Megan.
Martha legte eine Hand auf ihre Schulter. »Was hat er gesagt, Liebes?«
»Er sagte …«
Megan zögerte. So wie Dorcas sie anstarrte – und mit dem Ruf, den sie wegen ihres nächtlichen Schreiens womöglich jetzt in der Stadt hatte –, wollte sie die Wahrheit nicht sagen. Oder was sie für die Wahrheit hielt. Wenn man Andy jetzt anschaute, sah es tatsächlich aus, als habe er sich nie bewegt. Offen gestanden sah er aus, als sei er schon tot. Diese ausgedörrten Lippen konnten doch gar keine Worte geformt haben …
Aber sie hatten es getan.
Megan wurde von Angst ergriffen; sie zögerte noch immer.
»Ich weiß nicht, was er gesagt hat«, log sie. »Ich weiß nur, dass er gesprochen hat.«
»Wer ist denn das, verdammt noch mal?«, fragte Dorcas. Sie hatte ihren Blick über Megan hinweg gerichtet und war inzwischen mehr als nur entrüstet.
Megan wirbelte herum. Draußen auf dem Flur stand Finn und blickte durch das Fenster auf Andy. Er bemerkte nicht, dass Dorcas, dann Martha und zuletzt Megan ihn anstarrten.
»Mein Mann.«
»Kapiert denn
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