Das Erwachen
endlich blinzelte sie.
Sie betrachtete ihn. Ihre Augen weiteten sich in plötzlichem Entsetzen. Sie öffnete den Mund, als wollte sie schreien.
»Nein!«, sagte er wieder, sehr leise.
Der Schrei erstarb auf ihren Lippen, doch ihre Qual wurde sehr offenkundig. »Wer sind Sie? Was tue ich hier? Oh, mein Gott – Andy!«
»Pst. Andy geht es gut. Die Frage ist, was machen Sie hier?«
»Ich – ich weiß es nicht!«, erwiderte sie voller Bestürzung.
In wenigen Minuten würde jemand die Unruhe in einem Zimmer auf der Intensivstation bemerken. »Gehen wir aus dem Zimmer, was meinen Sie?«, schlug Lucian vor.
Sie starrte ihn an, immer noch in dem Versuch, herauszufinden, wer er war, doch inzwischen war ihr auch bewusst geworden, dass sie Klinikkleidung trug und in einem Raum war, in dem sie nicht sein sollte, zumindest nicht zu dieser Nachtzeit.
Er öffnete lautlos die Tür und führte sie hinaus.
Im Flur stand die Nachtschwester, Janice Mayerling, direkt vor Andy Markhams Zimmer, und starrte ins Leere. Sie sah die beiden nicht, obwohl sie direkt vor ihr liefen. Lucian bedeutete Martha mit einer Geste, weiter den Korridor hinunterzugehen, auf die Aufzüge zu. Dann versuchte er dasselbe mit Janice, wedelte mit einer Hand vor ihrem Gesicht und schnippte schließlich direkt vor ihren Augen mit den Fingern. Sie blinzelte, schüttelte verwirrt den Kopf, das hübsche Gesicht in tiefe Falten gelegt, und starrte schließlich auf Lucian. »Sir, wer sind Sie? Was tun Sie hier? Besucher sind in diesem Teil des Gebäudes nicht erlaubt.«
»Ich bin nicht hier«, sagte er leise. »Gehen Sie zu Ihrem Patienten hinein; bleiben Sie bei ihm.«
Er machte kehrt und ging den Flur hinunter zu Martha. Sie war noch immer beunruhigt, doch ihre steife Yankee-Entschlossenheit schien wieder die Oberhand gewonnen zu haben.
»Wer sind Sie?«
»Lucian DeVeau. Ich bin ein Freund von Finn.«
»Finn«, murmelte sie. Wieder bekam sie große Augen. »Megan … wie geht es ihr?«
»Den beiden geht es derzeit gut. Die Frage im Moment sind Sie.«
Tiefes Entsetzen und Verwirrung traten in ihren Blick. »Ich bin zu Bett gegangen!«, rief sie halblaut und senkte die Stimme noch mehr, als der Aufzug kam. Sie vergewisserte sich, dass er leer war. »Ich bin zu Bett gegangen, ich bin eingeschlafen. Und dann hier aufgewacht. Oh, mein Gott! Hoffentlich habe ich nicht Alzheimer!«
»Das bezweifle ich«, meinte Lucian.
Der Aufzug kam im Erdgeschoss an. »Ich – ich verstehe das ganz und gar nicht«, sagte sie äußerst frustriert. »Ich erinnere mich nicht … ich erinnere mich nicht daran, aufgestanden zu sein, hierhergekommen zu sein … ich weiß nicht einmal, dass ich aufgewacht wäre. Und ich … ich habe Klinikklamotten an!«
»So ist das also – Sie wissen nicht, warum Sie hier sind, Sie erinnern sich nicht daran, wie Sie hergekommen sind, wie Sie gefahren sind – an gar nichts?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wieso hätte ich denn hierherkommen sollen? Ich habe Andy doch erst heute Nachmittag besucht. Oh, das macht mir solche Angst. Aber … Sie! Wieso waren Sie denn da drinnen?«, fragte sie, und ihre Verwirrung verwandelte sich in Argwohn und Ärger. »Ich kenne Sie nicht – und ich glaube nicht, dass Sie Andy kennen. Wie sind Sie in dieses Krankenzimmer gekommen?«
»Ich spiele bei dem Ganzen keine Rolle«, versicherte er ihr.
»Sie hätten Andy etwas antun können!«
»Martha, kommen wir zu Ihnen zurück. Ich habe Sie davon abgehalten, Andys Sauerstoffschlauch herauszuziehen.«
»So etwas würde ich niemals tun!«, protestierte sie unnachgiebig.
»Aber Sie würden nachts ins Krankenhaus gehen, Klinikkleidung anziehen und in sein Zimmer schleichen?«
Martha hastete mit gekränkter Miene zum Ausgang, öffnete die Tür nach draußen und atmete tief ein, als könne die Nachtluft ihr zu klaren Gedanken verhelfen.
Sie sah Lucian nicht an. »Ich hatte einen Traum!«, keuchte sie. »Daran kann ich mich erinnern. Andy war in dem Traum. Er war eine Art Monster, und er rief Megan etwas zu. Ich hörte ihn, und seine Stimme war überhaupt nicht alt und schwach, sondern befehlend, zwingend … verführerisch sogar. Und ich erinnere mich, dass ich in meinem Traum versuchte, zu ihm zu kommen, ihn aufzuhalten, damit er Megan nichts antut!«
Jetzt blickte sie ihn an, als frage sie ihn, ob er einen derart seltsamen Traum bestätigen könne, doch dann straffte sie erneut die Schultern. »Das ist lächerlich! Andy würde Megan doch nichts antun, und
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