Das Erwachen
ihr zu sehen. Seine Stimme senkte sich zu einem rauen Wispern, sie hörte sich an wie der Wind, der durch trockenes Laub strich.
»Ich muss unbedingt mit Ihnen reden.« Sein Drängen klang fast verzweifelt. »Ich muss mit Ihnen reden, ich muss Ihnen klarmachen, dass hier etwas im Gange ist und Sie in Gefahr schweben …«
Er verstummte abrupt.
»Hey, was geht hier ab?«
Finn. Er stand direkt hinter ihr und legte ihr nun schützend den Arm um die Taille. »Mr Markham«, meinte er und zog Megan zu sich, »Sie müssen ein bisschen aufpassen mit Ihren Lügenmärchen. Wissen Sie es schon? Na klar, die ganze Stadt weiß es: Megan ist gestern mitten in der Nacht laut schreiend aufgewacht.«
Andy Markham starrte Finn an, als würde er einen Feind abschätzen.
»Lügenmärchen …«, wiederholte er langsam. Megan dachte, jetzt würde er Finn wohl auch erklären, dass hier etwas im Gange sei, dass das Böse unter ihnen weile; oder vielleicht würde er ihn auch überzeugen wollen, dass seine Lügenmärchen nicht gelogen waren. Rauch … Wo es raucht, gibt es auch ein Feuer. Wo es eine Legende gab, gab es auch etwas, was tatsächlich passiert war und dieser Legende zugrunde lag.
Es schwelte …
»Wie Sie meinen, junger Mann, wie Sie meinen. Ich passe auf mit meinen Geschichten. Nun denn, einen schönen Abend noch Ihnen beiden. Hübsche Musik. Die Jungen stürmen die Tanzfläche, die Alten wie ich unterhalten sich blendend. Viel Spaß noch. Übrigens, die Steaks hier sind ganz ausgezeichnet.«
Er wirkte sehr aufrecht, als er sich umdrehte und ging. Immer noch uralt, aber aufrecht und stolz.
Finns Arm schmiegte sich fester um sie. Er schien zu zucken, als hätte er einen Krampf.
»Was hat dieser alte Fiesling dir jetzt erzählt?«, fragte er unwirsch.
Sie drehte sich um und betrachtete ihn. Er wirkte seltsam. Finn war an sich sehr attraktiv mit seinen markanten Gesichtszügen. Doch jetzt war er wütend, versuchte aber gleichzeitig, es mit einem Lächeln zu überspielen. Diese Anstrengung ließ ihn eigenartig aussehen, wie einen Satyr, ein makabres Geschöpf. Böse … und trotzdem so verführerisch, wie das Böse manchmal ist.
»Meg? Bitte keine Gruselgeschichten mehr, okay? Du wirst nicht wieder schreiend aufwachen, oder?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein.« Sie wusste nicht, warum ihr diese Lüge so leicht über die Lippen kam. »Nein. Er wollte mich nur begrüßen und mir sagen, wie sehr ihm unsere Musik gefällt.« Jetzt, nachdem er weg war, kam ihr der arme Alte richtig lächerlich vor. Sie brachte ein strahlendes Lächeln zustande und heuchelte sogar noch Begeisterung, als sie die Arme um seinen Nacken schlang.
»Finn! Es läuft doch wirklich ganz fantastisch, findest du nicht?«
Er grinste. Der Anflug des Bösen war verschwunden.
»Richtig gut«, pflichtete er ihr bei und drückte ihr rasch einen Kuss auf die Lippen. »Wirklich hervorragend. Hey, ich habe deine Tante Martha kennengelernt.«
»Sie ist reizend, nicht wahr?«
»Hast du sie gesehen und beauftragt, mich zu begrüßen?«
Sie schüttelte den Kopf, und ihre Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. »Sie hat mich nur ganz kurz umarmt und mir erklärt, dass sie müde sei und nach Hause gehen wolle. Doch zuvor wollte sie dich noch in Augenschein nehmen in den fünf Minuten, die sie noch wach bleiben konnte. Ich habe ihr versprochen, dass wir sie …«
»… morgen besuchen«, beendete Finn den Satz.
»Zum Mittagessen. Aber sie hat mir nicht gesagt, um wie viel Uhr.«
»Um zwei. Und sie hat mir versichert, dass sie eine gute Köchin ist. Unsere Pause ist vorbei, wir müssen wieder auf die Bühne. Übrigens – Morwenna und Joseph bestellen uns etwas zu essen, wir setzen uns in der nächsten Pause zu ihnen, okay?«
Seine Worte rührten sie. Sie wusste, wie schwer es ihm fiel, so zu tun, als würde er Morwenna und Joseph mögen und sich mit ihnen anfreunden wollen.
»Hervorragend. Ach, hast du eigentlich den Jungen vom Park gesehen? Ich habe ihm doch eine unserer neuen CDs versprochen.«
»Kann schon sein, dass ich ihn gesehen, aber nicht erkannt habe«, erwiderte er zerknirscht. »Manche dieser Kostüme sind wirklich verblüffend. Aber keine Sorge – ich bitte den Burschen an der Kasse, dass er Darren Menteith eine CD gibt, wenn der sich meldet.«
»Und wenn er sich nicht meldet?«
»Das wird er schon. Vielleicht ist er heute Abend ja gar nicht da. Wetten, dass er bald aufkreuzt?«
Megan nickte. Er nahm sie bei der Hand und
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