Das Erwachen
paranoid, weil ihre Beziehung nach einer gewissen Unterbrechung noch etwas wackelig war.
Auf Gedeih und Verderb, sagte er sich noch einmal.
Auch wenn er sich sämtlichen Dämonen dieses verdammten Ortes stellen musste.
Er würde sich nicht danebenbenehmen. Er würde ein Musterknabe sein, der perfekte Ehemann.
»Rauch!«, sagte Andy Markham gerade. Vielleicht klang dieses schlichte Wort aus seinem Mund so finster, weil er so verdammt alt war. Selbst seine Falten hatten Falten, dachte Megan, und sie wünschte, sie könnte über diese Beobachtung innerlich lächeln. Seine Augen – so blassblau, dass sie farblos wirkten – verschwanden fast in den tiefen Höhlen. Seinen Schädel zierten nur noch sehr wenige schüttere, schneeweiße Strähnen. Er sah aus wie die Marionette, die in der Fernsehserie »Tales from the Cryptkeeper – Geschichten aus der Gruft« die einführenden Worte sprach. Seine Haut war fast durchsichtig, und er war klapperdürr, ein Knochengerüst, von ein wenig Fleisch bedeckt.
Er trug kein Kostüm. Das brauchte er auch nicht.
»Rauch«, wiederholte sie höflich. Sie war sich nicht ganz sicher, worüber er bislang gesprochen hatte, sie wusste nur, dass seine Worte in gewisser Weise verzweifelt und auch seltsam hypnotisch gewirkt hatten. Es war um Albträume gegangen und darum, dass Albträume Projektionen aus der Vergangenheit in die Zukunft wären. Zuerst hatte sie gedacht, dass ihm etwas über ihre schlechten Träume zu Ohren gekommen sei und er sich jetzt bei ihr entschuldigen wollte, weil er seine Sache zu gut gemacht und sie zu Tode geängstigt hatte.
Aber er hatte sich nicht entschuldigen wollen.
Er hatte sie aufgehalten, mitten auf der Tanzfläche, um sie zu warnen.
»Verstehen Sie denn nicht? Wo es raucht, gibt es auch ein Feuer. Es muss gar nicht groß sein, aber Rauch ist eine Warnung. Oh ja, es gibt eine Menge Geschichten. Aber Mythen und Legenden wurzeln stets in Tatsachen. Sie sind keine von ihnen, aber das ist auch egal.«
»Keine von welchen?«
Er schüttelte den Kopf. »Keine Wicca, keine Heidin. Aber Sie haben hier Ihre Wurzeln.«
»Andy, ich bin in der Nähe geboren und aufgewachsen, aber ich wohne schon lange nicht mehr hier. Meine Familie ist nach Maine gezogen, ich bin aufs College gegangen, und hier war ich schon viele Jahre nicht mehr. Wahrscheinlich bin ich nur besonders empfänglich für Ihre Geschichten.«
Der Alte schüttelte den Kopf. »Ich kann es fühlen. Nehmen Sie sich die Zeit, atmen Sie tief durch und fühlen Sie es auch. Wie ich schon sagte – an den alten Geschichten und Legenden ist was dran. Es gibt noch mehr Geschichten, aber die erzähle ich den Leuten nicht, weil sie zu nah an der Wirklichkeit sind, am wirklichen Leben. Es gibt einen Schleier, verstehen Sie das denn nicht, einen dünnen Schleier zwischen dem Leben, wie wir es kennen, und dem, das dahinterliegt.«
Sie lächelte ein wenig verwirrt und verwundert, warum ihr nichts einfallen wollte, um den Alten stehen zu lassen und zu gehen. Vor Ewigkeiten hatte sie für sich und für Finn etwas zu trinken besorgen wollen, und sie war noch nicht einmal bis an eine der Theken vorgedrungen.
»Andy, meine Eltern haben beide irische Vorfahren. Sie haben mir viele Geschichten erzählt, über Todesfeen, Kobolde, Elfen … und auch über Halloween, wie es früher gefeiert wurde. Eigentlich ist es doch ein guter Brauch, sich liebevoll an die zu erinnern, die von einem gegangen sind. Es geht um die Achtung vor den Toten, und …«
»Nein, der Schleier ist an Halloween besonders dünn«, behauptete Andy steif und fest. »Zu dünn. Normalerweise ist das ganz in Ordnung. Jemand, der seine Mutter verloren hat, kann plötzlich das Gefühl haben, als spüre er noch einmal ihre zarte Hand auf seiner Schulter. Einer Frau, die ihren Mann verloren hat, kann es vorkommen, als flüstere er ihr noch einmal ein paar tröstliche Worte ins Ohr. Aber es gibt auch andere, die in ihrem Leben nicht gut waren und zur anderen Seite Kontakt aufnehmen wollen. Es gibt welche, die sind böse. Und die werden von dem Bösen benutzt. Oft wissen sie gar nicht, dass sie ihre Seele verkaufen, sie lassen sich von falschen Versprechungen blenden. Die Welt ist uralt. Sie haben ja keine Ahnung, was war, bevor der erste Mensch aufgetaucht ist.«
»Gab es nicht so was wie den Urknall?«, murmelte Megan in einem Anflug von Humor und Ironie. Dennoch schaffte sie es noch immer nicht, den Alten stehen zu lassen.
Plötzlich schien er etwas hinter
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