Das Erwachen
– es war ja mitten in der Nacht, und Salem war nicht Las Vegas oder New Orleans, auch wenn hier momentan einiges los war. Aber wie es der Teufel wollte, schlenderte doch tatsächlich ein junges Pärchen vorbei, als er dasaß und eine Zigarette rauchte. Sie schrie – offenbar löste er das in letzter Zeit bei vielen Frauen aus –, und der Typ sagte Hallo, aber sie gingen so vorsichtig um ihn herum wie um einen Haufen Hundekacke. Doch dann drehte sich das Mädchen noch einmal um und erkannte ihn. Zu Finns Überraschung lief sie sogar zu ihm zurück und fing an, von seiner Musik zu schwärmen und ihn dabei ständig zu betatschen – an der Schulter, am Arm. Er stammelte, dass er nicht schlafen könne und deshalb hier herumsitze. Im Morgenmantel, bei Temperaturen knapp über den Gefrierpunkt … Um Himmels willen, das würde inzwischen bestimmt schon in aller Munde sein …
Nun ging er erst einmal unter die Dusche und zog sich an in der Hoffnung, Megan würde zurück sein, wenn er fertig war. Aber das war nicht der Fall.
Als er durch das Haus ging, bemerkte er, dass das Bilderbuchehepaar John und Sally, das sie an ihrem ersten Tag am Frühstückstisch getroffen hatten, am Kamin saß und noch Kaffee trank, obwohl die Frühstückszeit längst vorbei war.
»Hey!«, begrüßte ihn Sally munter.
»Wir waren gestern auf eurem Konzert«, sagte John.
Finn blieb stehen. »Ach ja? Super. Danke, dass ihr da wart.«
»Tja, es war ein bisschen seltsam«, gab John zu. »Wir wollten irgendwo zu Abend essen, und da hörten wir, dass man dort draußen ganz gut essen kann und meistens auch noch irgendeine Unterhaltung geboten wird. Kurz davor hatten wir eine überregionale Zeitung gekauft, und darin stand ein Artikel über euch, und es hieß, ihr würdet dort auftreten. Es war super. Wir hatten euch ja erst vor Kurzem kennengelernt, und da wart ihr: erst auf dem Foto in der Zeitung und dann persönlich auf der Bühne.«
»Ich hoffe, es hat euch gefallen«, meinte Finn. »Was war das denn für eine Zeitung?«
»Ich habe den Artikel noch in meiner Handtasche«, erklärte Sally, stellte ihre Tasse ab und kramte in ihrer Tasche. »Hier!«
Sie zog eine gefaltete Seite heraus. »Eine junge Frau in New Orleans hat das geschrieben, und dann erschien der Artikel auch überregional bei den Halloween-Tipps.«
Er hätte einen Freudensprung machen sollen über die überregionale Berichterstattung, doch stattdessen war er erst einmal völlig baff. Schon vor Wochen waren sie für diesen Artikel interviewt worden, vor ihrem Kurzurlaub in Florida. Die Frau, Jade DeVeau, hatte eines ihrer Konzerte in einem Jazzklub besucht. Sie war zusammen mit ihrem Mann da gewesen. Er und Megan hatten gar nicht gewusst, dass sie ein Interview geplant hatte. Natürlich hatten sie sich gefreut, aber sie waren auch vorsichtig gewesen, als die Frau sie um ein Interview gebeten hatte. Kritiker konnten viel Schaden anrichten, und in solchen Artikeln stand manchmal auch viel Unsinn.
Auch ihr Mann, der, wie er ihnen versichert hatte, kein Schriftsteller war, hatte ihnen viele Fragen gestellt, vor allem, als die Sprache auf ihren geplanten Auftritt in Salem kam.
Keiner der beiden hatte ausgesehen, wie man sich Reporter so vorstellte. Jade DeVeau war eine außergewöhnlich attraktive und gut gekleidete Frau. Ihr Mann war ziemlich groß und dunkelhaarig, mit sehr seltsamen Augen, die ständig die Farbe zu wechseln schienen – rötlich, golden, alles Mögliche, doch nie die Farbe, die Augen normalerweise hatten.
Kontaktlinsen, hatte Finn gedacht.
Megan war schwer beeindruckt gewesen.
Beide hatten auf sie einen sehr freundlichen Eindruck gemacht. Als Finn sich am nächsten Tag nach der Frau erkundigte, fand er heraus, dass sie in New Orleans durchaus bekannt war. Sie hatte einen eigenen kleinen Verlag und schrieb überwiegend seriöse Reiseberichte. Auch über New Orleans hatte sie schon einige Reiseführer veröffentlicht.
Und am darauffolgenden Tag hatte er eine gute Kritik über ihren Auftritt in dem Jazzklub gelesen; er hatte seinem Glücksstern gedankt und das Paar vergessen.
Aber jetzt …
»Übel!«, murmelte er.
»Wie bitte?«, frage Sally ein wenig konsterniert.
Er lachte. »Das sagt man so in Neuengland. Ich wusste nichts von diesem Artikel.«
Er war wirklich überrascht. Ein großes Foto zeigte Megan und ihn auf der Bühne, und darunter wurde ihr Auftritt gelobt, und es hieß, dass man in Salem viel Spaß haben könne.
Und dann …
Am Ende kam
Weitere Kostenlose Bücher