Das Erwachen
auf keine Form der Verständigung verlassen außer auf die direkte Begegnung. Deshalb hatten sie sich hier verabredet.
Die Frau kam als Erste. Während sie wartete, fuhr sie mit der Hand über den verwitterten Marmor ihres Idols; sie kannte jede Kurve, jede Kerbe der Statue und berührte sie so zärtlich wie einen lebenden Körper.
Schließlich kam auch ihr Protegé. Sie war natürlich nicht begeistert über seine Verspätung, und das war ihm auch sofort klar, als er den Blick bemerkte, mit dem sie ihn bedachte. Früher hätte er sich vielleicht geschämt, weil er ihr schlecht gedient hatte; vielleicht hätte er sich auch gefürchtet.
Doch in den letzten Tagen hatte er eine Kostprobe seiner Macht erhalten. Und er wusste, dass auch sie nur eine Dienerin des Meisters war, also auch nicht mächtiger als er.
Allerdings … nun, allerdings würde sie mächtiger werden.
»Erweise dem Meister die gebührende Ehre!«, fauchte sie erzürnt.
Er wusste, wie man dem Meister Ehrerbietung zollte, sie hätte ihn nicht daran erinnern müssen. Er küsste den kalten Marmor; die Kälte des Steins ließ ihn erzittern, doch gleichzeitig wuchsen seine Kraft und sein Mut.
»Es war nicht nötig, mich herzurufen«, sagte er frostig. »Ich weiß, was ich zu tun habe, und ich habe bisher alles bestens erledigt.«
»So gut auch wieder nicht!«, schnaubte sie. »Du hast zwar viel von dem besorgt, was wir brauchen, aber du weißt, dass noch etwas fehlt. Du kannst nicht länger warten. Was nötig ist, muss jetzt besorgt werden. Wir haben nur noch wenige Tage. Und zur rechten Zeit müssen die Kelche voll sein.«
»Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich weiß, was zu tun ist«, meinte er. »Du!«, fuhr er fort und deutete mit dem Finger auf sie. »Du musst dafür sorgen, dass alles bereit ist, wenn die Zeit gekommen ist. Niemand darf in seinem Glauben an Seine Macht wanken, es darf keine Schwachstelle geben. Wir müssen fest zusammenstehen.«
»Ich weiß schon sehr lange, was ich zu tun habe«, erwiderte sie ruhig. »Aber du darfst nicht länger zögern. Du musst aktiv werden. Nicht bald, sondern sofort!«
Er nickte der Frau nur kurz zu. Er hatte ihr ja klipp und klar erklärt, dass er wusste, was er zu tun hatte, und seine Pflichten kannte. Ein weiteres Mal presste er die Lippen auf das Idol, dann schloss er kurz die Augen, um die Macht und Stärke zu genießen, die ihm wie ein Blitz durch Leib und Glieder fuhren, elektrisierend und aufwühlend wie ein Stromstoß.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wandte er sich ab und ging.
Sie verfolgte seine Schritte noch eine Weile im Mondlicht. Dann schloss auch sie die Augen und dachte an die Erhabenheit der Zukunft. Sie streckte eine Hand aus und lächelte, während sie ihren Arm anstarrte und von den kommenden Ereignissen träumte, die die Welt verändern würden – ihre Welt.
Sie hatte alles sorgfältig geplant. Sehr lange schon.
Die Zeit der Finsternis rückte näher.
Rasch.
Über ihr zogen blaue Wolken über den nächtlichen Himmel, und sie genoss es, wie der trübe Bodennebel sich langsam formte und aufstieg. Bald würde er die Nacht beherrschen.
Und einen neuen Tag hervorbringen.
Sie hatten schon zwei Sets hinter sich. Alles lief bestens, doch dann traf Megan auf den Mann an der Bar.
Wie üblich waren Morwenna und Joseph da und klatschten begeistert nach jedem Song. Auch Darren Menteith war wieder gekommen, natürlich ohne Lizzie, dafür aber mit einigen Freunden vom College.
Megan fühlte sich hervorragend. Aber heute Abend sah Finn in dem Outfit, das er sich bei Morwenna ausgeliehen hatte, wirklich wieder ganz besonders gut aus. Auch ihr Kleid mit den zarten, geschlitzten Seidenärmeln, einem engen Oberteil und einem weich fließenden Rock gefiel ihr ausnehmend gut. Im Laden hatte sie den Eindruck gehabt, dass Finn auch bestens mit Joseph auskam. Er hatte völlig zwanglos mit ihm geplaudert, ohne gleich jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Aber sie hatten sich auch nicht über Hexerei unterhalten, sondern über Bier und Fußball. Sie und Morwenna hatten Kindheitserinnerungen ausgetauscht und darüber gelacht, und sie hatten auch über ehemalige Schulfreunde gesprochen.
Jetzt wünschte sie, Mike Smith wäre da und würde zu ihnen kommen. Jetzt wäre Finn bestimmt auch nett zu ihrem alten Freund. Aber falls Mike da war – was gut möglich war –, dann sicher in Verkleidung, und ob er sich ihnen zeigen würde, war fraglich.
Tja – Finn hatte sich ihm gegenüber wirklich
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