Das Erwachen
den kleinen Lautsprecher auf der Küchentheke – die zwei Monate alte Gwyneth, das jüngste Familienmitglied der Canadys, weinte. Als Maggie aufstand, klingelte auch noch Jades Handy.
Lucian lehnte sich zurück und musterte seine Frau. »Das ist bestimmt er.«
Jade sah ihn ein wenig skeptisch an. »Ein Mal kannst auch du dich irren«, entgegnete sie leise.
»Ja, ein Mal schon, aber bestimmt nicht dieses Mal«, erwiderte er.
Jade stand auf, ging zu ihrer Handtasche und kramte nach ihrem Handy.
»Bin gleich wieder da«, murmelte Maggie.
»Kannst du auch gleich nach Aidan sehen?«, bat Jade. Aidan war ihr Adoptivsohn, der inzwischen schon fast zwei war. Tagsüber konnte er einen ganz schön auf Trab halten, aber nachts war er ein richtiger Engel. Er schlief eigentlich immer zwölf Stunden durch, doch trotzdem sah Jade ständig nach ihm.
»Na klar. Aber wenn du ihn ein paar Tage bei mir lassen willst, musst du mir schon vertrauen, dass ich mich ordentlich um ihn kümmere«, meinte Maggie.
»Ich kann nach den beiden sehen«, erklärte Sean, der offenbar noch immer etwas enttäuscht war, dass er mit seiner unglaublich tollen Hand verloren hatte. Andererseits war er aber auch neugierig auf das Telefonat, das Jade gerade führte.
Maggie schüttelte den Kopf.
»Hallo?«, sagte Jade und starrte Lucian an. Er zog eine dunkle Braue hoch.
»Ja, hier spricht Jade DeVeau«, sagte sie. Sie blickte noch immer auf Lucian. »Natürlich erinnere ich mich an Sie.« Sie lauschte eine Weile, dann sagte sie leise: »Ich glaube, Sie sollten lieber mit meinem Mann sprechen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Sie reichte Lucian das Handy, der auf die Lautsprechtaste drückte, damit alle mithören konnten, was der Mann am anderen Ende der Leitung zu sagen hatte. Seine tiefe, angenehme Stimme hatte einen leichten Südstaatenakzent. Jade konnte sich noch gut an ihn erinnern. Er war groß, bestimmt so groß wie Lucian, lang und schlank; durch seine Größe fiel auf den ersten Blick gar nicht auf, wie breit seine Schultern waren. Sein Talent, sein Elan und seine Professionalität hatten sie sehr beeindruckt. Lucian hingegen war etwas beunruhigt gewesen, denn irgendetwas an diesem Mann hatte ihm das Gefühl gegeben, dass sich hinter den markanten Gesichtszügen und dem offenen, direkten Blick etwas verbarg. Jade hatte den Eindruck gehabt, dass der Mann seine Frau aufrichtig liebte und bewunderte; doch Lucian hatte auch noch etwas anderes empfunden. Etwas war in diesem Mann vorgegangen, brodelte in ihm, direkt unter der Oberfläche. Für Jade war es ein Bilderbuchpaar gewesen: Megan Douglas, blond, sehr weiblich, sehr schön, mit einer göttlichen Stimme, und dieser durch und durch männliche Mann – ein Traumpaar, fast zu schön, um wahr zu sein.
»Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht genau, warum ich Sie anrufe. Ich habe nur gerade ein paar völlig absurde Geschichten gehört, und dann bin ich zufällig auf ein Buch Ihrer Frau gestoßen, und da wir uns neulich begegnet sind … Es ist wirklich absurd. Ich meine, ich kann jetzt schlecht die Geisterjäger rufen, stimmt’s? Und außerdem habe ich keine Geister oder dergleichen gesehen. Aber in dem Buch hieß es, dass Sie gerne erfahren würden, wenn etwas Ungewöhnliches passiert. Und hier passieren tatsächlich einige sehr ungewöhnliche Dinge.«
»Ach ja? Nun, Sie befinden sich in Salem, und bald ist Halloween«, sagte Lucian. Er starrte erst auf Jade, dann auf Sean. »Aber das ist ja wirklich ein Zufall – meine Frau und ich wollten dieses Wochenende nach Salem kommen. Sie würde gern einen Artikel schreiben, wie es dort nach dem großen Ereignis zugeht. Und dabei würden wir selbstverständlich gerne auch Sie treffen. Dann könnten wir ja versuchen herauszufinden, was genau Sie beunruhigt.«
»Wenn ich das nur wüsste …« Der Anrufer zögerte, dann räusperte er sich, und seine Worte klangen wieder sehr klar und direkt. »Ich bin Musiker. Ich weiß nicht, was Sie für Ihre Hilfe verlangen oder bei was auch immer. Egal. Ich denke, am dringendsten benötige ich Informationen. Ich glaube nicht an das Übersinnliche – etwas, das nachts passiert und so. Aber ich glaube, dass sich Schlimmes ereignen kann, allerdings von Leuten verursacht, die eigene Ziele verfolgen. Alle hier schwören, dass die Wiccas niemals einem anderen schaden würden, aber … hey, wie ich schon sagte, es passieren immer wieder schlimme Sachen. Ich verstehe nicht, was hier abläuft. Vielleicht verabreicht uns
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