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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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den gegenüberliegenden kahlen Weinberg. Unvermittelt begann Sarah zu erzählen. Von ihrer Kindheit, ihrem Elternhaus, wie wohlbehütet sie gewesen war, welche glückliche Zeit sie verleben durfte. Und wann sie Henry zum ersten Mal gesehen und Jahre danach mit ihm getanzt hatte.
    »War es Liebe auf den ersten Blick?«
    »Auf den zweiten«, verbesserte Sarah. »Dafür jedoch um so heftiger. Henrys Eltern und meine kannten sich schon lange. In unserer Jugendzeit sind wir uns öfter begegnet, ohne richtig Notiz voneinander zu nehmen. Später, nach dem Studium, da hat es dann zwischen uns gefunkt. Henry hatte bereits die Firma seiner Eltern übernommen. Bist du informiert, was mit seinen Eltern geschehen ist?«
    »Nein.«
    »Schlimm, sehr schlimm. Sie haben sich beide umgebracht. Alle Welt hat davon gesprochen und spekuliert, was tatsächlich dahinter stecken könnte. Die wildesten Gerüchte sind gekreist, aber niemand kennt die wahren Hintergründe. Ihr Geschäft, damals hatten sie noch die Vertretung für eine französische Automarke, ging sehr schlecht. Die Hausbank ließ sie mehr oder weniger am Leben. Man spottete über sie. Gesellschaftlich waren sie deswegen unbedeutend, nicht gefragt, wurden kaum eingeladen. Und immer wieder hat man, sobald sie einen Raum betreten haben oder in ein Restaurant gegangen sind, unverhohlen über sie getuschelt. Die Gesellschaft ist brutal. Wenn du dich bemühst und keinen Erfolg hast, wirst du zum Gespött und zur Zielscheibe, besonders zu der der anderen Versager. Es ist schon ein seltsames, perverses Spiel. Aus Angst vor der eigenen Erfolglosigkeit sind viele froh, jemanden gefunden zu haben, der von ihnen ablenkt und auf den sie ihre innersten Ängste in Form von Spott und Häme abladen konnten. Und den lautesten Spöttern ging es selbst am schlechtesten. Natürlich war abzusehen, wann die Banken den von Rönstedts kein Geld mehr geben würden. Der gesamte Grundbesitz, mehr als zweihundert Hektar Wald, Teil einer Jagd, Ackerland und Bauland war mit Hypotheken zugepflastert. Aber niemand wollte eine Baustelle kaufen, obwohl Henrys Vater sie weit unter Marktpreis anbot. Alle warteten sie darauf, das Land noch billiger zu bekommen, am liebsten geschenkt. Oder bei einer Zwangsversteigerung. Die Schulden wuchsen, und vor fünf oder sechs Jahren, als seine Eltern keinen Ausweg mehr sahen, haben sie sich umgebracht. Henrys Vater war Jäger.«
    »Das war bestimmt nicht leicht für Henry«, zeigte Carmen Verständnis. »Aber wieso konnte er das Autohaus weiterführen?«
    Sarah zuckte mit der Schulter. »Henry hat nie darüber gesprochen. Ich nehme an, die beiden Geldgeberbanken zeigten in irgendeiner Weise Mitgefühl und fühlten sich vielleicht sogar verpflichtet, einem alteingesessenen Betrieb zu helfen. Falls Banken überhaupt zu so etwas fähig sind. Aber so genau weiß ich es auch nicht. Den Grundbesitz hat er allerdings zur Hälfte abgeben müssen. Vielleicht war es ein Kuhhandel?«
    »Banken und Mitgefühl?« Carmen warf den Kopf in den Nacken und lachte abfällig. »Das gibt es doch nicht. Die bezahlen dich höchstens noch dafür, dass du dir dein eigenes Grab schaufelst. Bildlich gesprochen. Aber auch nur, wenn du gut versichert bist und sie diese als Sicherheit abgetreten bekommen haben. Glaube mir, ich spreche aus Erfahrung. Nach meiner Scheidung bin ich für einen Kredit von zehntausend von Pontius bis Pilatus gelaufen. Zwei Bürgen habe ich anschleppen müssen, sonst wäre nichts daraus geworden!«
    »In Saarburg, wo jeder jeden kennt, ist es vielleicht anders. Zumindest räumte man ihm eine neue Kreditlinie ein. Henry hat einmal Andeutungen gemacht. Auch dass es im Geschäftsleben wichtig sei, die richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt zu treffen und sie mit den richtigen Argumenten zu füttern. Dabei hat er hart gegrinst und Daumen und Zeigefinger aneinander gerieben. Und weil ich weiß, wen Henry meint, kann ich mir seine Argumente und deren Größenordnung gut vorstellen.« Sarah lachte abfällig. Nach wenigen Augenblicken sprach sie weiter: »Genau zu diesem Zeitpunkt begegnete ich Henry wieder. Es war eine schöne Zeit. Wir waren verliebt, man sah es unseren Gesichtern an. Henry überhäufte mich mit Geschenken und mit kleinen Aufmerksamkeiten. Ich war in irgendeinem Himmel, ganz weit oben.«
    Sarah schloss die Augen. Ihr Gesicht verklärte sich, die Züge wurden weich, schöne Bilder der Erinnerung tauchten auf. Ihr Körper wurde ruhiger, Harmonie erfüllte

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