Das Erwachen
dann bist du ausgerastet und hast mich gekratzt. Was ist Schlimmes daran? Was ist Schlimmes daran, wenn ich dich so in Ekstase bringen kann, dass du mich kratzt? Viele Männer wünschen sich Frauen, die so reagieren.« Und nach wenigen Sekunden fügte er hinzu: »Und noch mehr Frauen wünschen sich Männer wie mich, damit sie endlich mal so reagieren können.«
Sarah ergriff die Vase neben sich auf dem Tisch und warf sie in seine Richtung. Henry ruckte mit dem Kopf zur Seite, die Vase zerschellte an der Wand, Wasser lief herunter.
»Neunhundert Euro im Arsch«, war sein trockener Kommentar. »Du wirst mir langsam zu teuer.«
Zwei Tage später das Frühjahrsereignis in der kleinen Stadt. Der Ball des Saarburger Unternehmer Verbandes, SUV. Standesgemäß arrangiert mit Life-Musik und kaltem Buffet in der Stadthalle, deren astronomische Baukosten die Stadt bereits seit vielen Jahren als hoch aufgetürmte Verschuldung von Haushalt zu Haushalt mitschleppte. Schon eine halbe Stunde vor Beginn waren alle Tische bis auf wenige reservierte Plätze besetzt.
Zwei Minuten vor acht betrat Henry von Rönstedt mit seiner Frau Sarah die festlich geschmückte Halle, nickte in die Runde, wechselte hier und dort ein paar Worte und steuerte auf seinen Platz zu, gleich vorn in der ersten Reihe in der Mitte, nur wenige Schritte entfernt vom Rednerpult.
Während ihres Auftrittes wurde das Ehepaar von vielen Augenpaaren beobachtet. Nicht zu übersehen waren in Henrys Gesicht die roten Streifen, die er wie eine Kriegsbemalung trug. Noch mehr irritiert waren jedoch die Besucher von Sarah, aber nicht etwa wegen ihres blutroten engen Abendkleides mit dem freizügigen Ausschnitt, das hervorragend ihre körperlichen Reize betonte, sondern über die große Sonnenbrille. Eine Sonnenbrille abends um zwanzig Uhr, und das auch noch bei Kunstlicht?
Die von Rönstedts saßen gleich neben den Achterbuschs, einem befreundeten Ehepaar. Genauer betrachtet bezog sich diese Freundschaft ausschließlich auf Henry von Rönstedt und Marek Achterbusch, dem Inhaber eines Baumarktes. Nicht nur geschäftlich, so munkelte man, sollen sie sich Bälle zuspielen.
Die Frauen dagegen konnten sich, wie so oft an der Seite von solch dominanten Leitfiguren, nicht ausstehen. Dafür sahen sie beide zu gut aus, waren Rivalinnen in der Saarburger Gesellschaft und hatten sich in der Vergangenheit schon zu viele rhetorische Gefechte geliefert, mit jeweils Sarah als eindeutiger Siegerin. Das konnte Gille Achterbusch, die mit vollem Vornamen Giselle hieß, nicht verkraften und sie intrigierte gekonnt in der kleinen Stadt, die für Intimes so unglaublich viele Ohren hatte. Sarah soll frigide sein, und später war sie auch noch lesbisch. Deshalb habe sie keine Kinder. Was ja jede Frau nachvollziehen könne.
Sarah, die die Gerüchte kannte, sah sich vor einem Jahr genötigt, den Vornamen Gille Achterbusch in aller Öffentlichkeit in Gülle umzuwandeln. Seither bekämpften sie sich bis aufs Messer.
Jonas Ellwanger, der geborene dritte oder vierte Mann, Mitmacher und Mitläufer, Inhaber mehrerer Fastfood-Lokale, gehörte auch zur Clique und saß neben Gille.
Achterbusch trat ans Mikrofon, um die Veranstaltung zu eröffnen. Eigentlich wäre das der Part von Henry gewesen. Aber Achterbusch wies scheinbar beiläufig darauf hin, dass Saarburg demnächst wohl ein neues, großes Autohaus mit vielen Arbeitsplätzen bekommen würde, so dass sich Henry nach mehrmaliger Aufforderung genötigt sah, nun doch ans Rednerpult zu treten, um einige Sätze zu diesem neuen Vorhaben zu sagen. Was er selbstverständlich in diesem feierlichen Rahmen nie beabsichtigt hatte.
»Für alle Interessierten von Saarburg werde ich kommende Woche einen Informationsabend hier in der Stadthalle arrangieren, meine Damen und Herren. Deshalb nur wenige Bemerkungen zu dem, was ich als konkretes Ergebnis aus Korea mit nach Hause gebracht habe.«
Henry sah in die Runde und erntete nur wohlwollende Blicke. Bis zu seinen Neidern in der zweiten Reihe schaute er erst gar nicht. Die zweite Reihe hatte ihn noch nie interessiert.
»In Kurzversion: Investitionsvolumen etwa fünfundzwanzig Millionen. Vorrangig bedient werden bei der Auftragsvergabe die Handwerksbetriebe aus Saarburg und Umgebung.«
Ellwanger hätte gar nicht als Erster Beifall klatschen müssen, die anwesenden Inhaber diverser Gewerbebetriebe hörten dies nur zu gern. Und sie hatten mittlerweile schon vergessen, dass von Rönstedts Vater sie beim Bau des
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