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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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sie.
    »Sarah, weißt du, warum ich mit dir hier in der Grube stehe, genau unter einem Auto?«
    Henry hätte nicht erklären können, was ihm an Sarahs Gesicht am besten gefiel. Sie war von einer ungewöhnlichen Schönheit, obwohl jedes Teil für sich unvollkommen schien. Die großen graubraunen Augen standen etwas zu eng, dafür jedoch sprühte in ihnen ein Leben, ein Feuer und ein Blitzen, das ihn wie auch andere verunsicherte und zugleich ansprach. Und wenn ihre Lider mit den langen Wimpern den Blick verschleierten, spürte er eine erotisierende Wirkung, die ihn linkisch werden ließ. Ihre Nase war groß, so wie es für Juden nun mal typisch sei, wie Sarah scherzhaft darauf angesprochen zu sagen pflegte. Die Nasenflügel gaben einen Blick auf ihre Nasenscheidewand frei, die bei Gegenlicht wie feines Porzellan wirkte und hellrosa schimmerte. Sarahs Mund, für Henry die personifizierte Verlockung, verformte sich asymmetrisch, wenn sie schmunzelte oder ihre Lippen spöttisch zuckten. Aber wenn sie lachte, dann lachte ihr ganzes Gesicht. War sie obendrein auch noch übermütig, dann warf sie den Kopf nach hinten, und die blauschwarzen Haare flatterten unbändig wie eine Mähne.
    Diese verwirbelte Mähne hatte Henry einmal bei Gegenlicht fotografiert. Die gleißende Helligkeit, ein Spinnennetz aus feinem Lametta und Silberfäden, hatte sich mit dem dunklen Haar verwoben. Sarahs Kopf eine Sonne, die ihre Blitze wegschleuderte.
    »Nein, Henry. Aber du wirst es mir bestimmt sagen.«
    Er nahm sie in die Arme und küsste sie.
    »Und die Arbeiter?« Sie schnappte nach Luft.
    »Die sind in der Mittagspause.« Er grinste. Lausbubenhaft sah er aus, charmant und verdammt gut. Sarah fühlte, wie ihr Herz hämmerte. Und sie wartete. Seit Wochen schon wartete sie auf einige wenige Worte. Ganz bestimmte, ihre Zukunft betreffende Worte, die, im richtigen Augenblick ausgesprochen, für immer unvergleichlich und in ihrer Bedeutung unerreicht bleiben würden.
    »Wir stehen hier, weil ich dich was fragen möchte«, begann Henry und schaute an ihr vorbei. »Manche fragen das, was ich fragen will, auf einem Wolkenkratzer, andere mieten dafür einen Ballon und gehen hoch in die Luft, ich will es hier unten tun. Hier, wo im Grunde genommen meine ganze Existenz liegt. Unter den Autos, unter der Ölwanne. Willst du meine Frau werden?« Er tauchte einen Finger in Öl und malte in ihrem Gesicht. Sie roch das Öl. Was für ein verführerischer Duft.
    Am liebsten hätte sie sofort ja gesagt. Was heißt gesagt, geschrien hätte sie es, laut aus sich herausgeschrien, damit auch alle Welt es hätte hören können. Aber Sarah ließ sich Zeit. Und ihr Henry sollte ruhig noch etwas zappeln. Schließlich hatte sie auch warten müssen.
    »Hast du es dir auch genau überlegt?«, wollte sie von ihm wissen und schaute ihn im gespielten Ernst an. Am liebsten hätte sie laut gelacht, als sie den verwunderten Ausdruck in seinem Gesicht erblickte.
    »Ich bin siebenundzwanzig. Und ich kann denken. Na, was ist?« Henry wirkte ungeduldig.
    »Ich weiß nicht so recht«, begann Sarah und zupfte an seinem Haar. »Vielleicht bin ich noch nicht reif für die Ehe.«
    Nun durchschaute Henry sie. Todernst antwortete er: »Das stimmt natürlich. Mit fünfundzwanzig hat man als Frau noch nicht die Reife. Und ein Staatsexamen in Betriebswirtschaft ist noch längst kein Garant für Reife. Da habe ich Verständnis für. Entschuldige bitte, Sarah, es war dumm von mir, nicht daran zu denken. Verzeih mir bitte meine Frage, ob du meine Frau werden willst.«
    Henry wandte sich ab, als wollte er gehen.
    »Verdammt noch mal, ich will«, schrie sie ihm ins Ohr. »Dreh dich um und küss mich gefälligst.«
    Es war der schönste Kuss ihres Lebens. Alles in ihrem Körper küsste und nahm ungewohnte Schwingungen auf, als übertrüge sich etwas von Henry auf sie und auch umgekehrt.
    »In zwei Monaten werden wir heiraten«, meinte Henry, als sie ihn einmal Luft holen ließ. »In zwei Monaten ist Sommer, dann können wir im Freien feiern.«
    »Noch zwei Monate«, schmollte Sarah. »Wie soll ich das nur aushalten?«
    »Und wir müssen keusch bleiben die ganze Zeit. Ist das nicht so üblich in deiner Religion?«
    »Ich bin keine Jüdin. Meine Mutter war katholisch, ich bin katholisch. Wann kapierst du das endlich.«
    »Aber dein Vater ist Jude. Er wird darauf achten, dass du keusch bleibst«, schmunzelte Henry. »Und das gefällt mir. Eure Religion gefällt mir.«
    »Du Schuft.« Sie trommelte

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