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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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dahinfließende Saar. »Ist dir eigentlich aufgefallen«, begann sie nach einigen Sekunden, »dass unsere so genannten Ehen alle Klischees widerspiegeln, die landläufig den Beziehungen zwischen Mann und Frau zugeschrieben werden? Klischees, wie sie täglich zu Hunderten in Leserbriefen der Boulevardpresse geschildert werden? Und zu denen selbst ernannte Eheberater unentwegt ihre Pseudoweisheiten kundtun? Mann prügelt und quält, Frau leidet und duldet. Mann geht fremd, Frau unternimmt nichts. Mann nimmt sich alles heraus, Frau wartet brav zu Hause mit dem Essen. Mann schafft Geld auf die Seite, Frau ist zu blöde, es zu merken. Mann vergewaltigt Frau, Frau macht keine Anzeige. Mann äußert einen Wunsch, Frau erfüllt ihn selbstverständlich. Mann will Sex, Frau ordnet sich unter. Mann macht Ehe kaputt, Frau versucht immer noch zu retten. Sarah, ich könnte noch einiges aufzählen. Und all diese trivialen Muster sind uns passiert, dir und mir, zwei Frauen, die weiß Gott nicht auf den Kopf gefallen sind. Kannst du dir das erklären?«
    Um Sarahs Mund zuckte es, als lächelte sie. »Was ist Schlimmes daran? Zeigt das aber nicht auch, dass diese typischen Klischees einen wahren Hintergrund haben? Und man trotz Kenntnis eben dieser Klischees immer wieder aufs Neue reinfallen kann? Es keine Abwehrstrategie gibt? Erst recht nicht, wenn Gefühle reinspielen, die dich blind werden lassen und dir das Urteilsvermögen rauben?«
    Die beiden Frauen spazierten im Garten umher. Der Boden war feucht, im Rasen vereinzelt kleine trockene Inseln, auf denen das Gras höher stand. Forsythien zeigten ihre ersten Knospen, alle anderen Sträucher träumten noch von der Winterruhe. Allein der mächtige Kirschlorbeer mit seinem satten Grün deutete an, auf welch kraftvolle Art sich in den kommenden Wochen die Natur zurückmelden würde.
    »Ich konnte es auch nicht verstehen, Sarah, als es zu Ende ging. Für mich stürzte eine Welt ein, zumindest die Welt meiner Vorstellung. Ich dachte nämlich, Liebe würde ewig dauern. Liebe sei die stärkste Kraft, die stärkste Kette der Welt. Inzwischen weiß ich es besser. Aber zumindest dauert die Liebe bei uns Frauen ein bisschen länger als bei den Männern. Nicht wahr? Und genau das ist unser Untergang. Genau das nutzen die Kerle aus.«
    »Wie soll ich dass verstehen?«, wollte Sarah wissen.
    »Du hast ihn doch immer noch geliebt, auch als er schon mit seinen Spielchen anfing. Er ging seiner Wege, blieb länger weg, hatte Konferenzen und Besprechungen, war auf Geschäftsreise, du hast zu Hause gewartet. Er hat tun und lassen können, was er wollte, du dagegen hast ihn gefragt, welches Kleid er gerne an dir sähe, wie du deine Haare tragen sollst. Und die Wahl des Lippenstiftes hast du ihm auch überlassen. Brombeerfarben. Ist es nicht so?«
    Zögernd nickte Sarah.
    »Der verklärte Blick einer Liebenden übersieht vieles. Seltsame Marotten, Defizite in der Persönlichkeit, auch im Kopf. Meiner hat sich heimlich Pornofilme angeschaut«, gestand Carmen. »Die von der primitivsten Sorte. Stundenlang. Einen nach dem anderen.«
    »Woher weißt du denn, dass sie primitiv waren?«
    »Weil ich sie mir auch angeschaut habe, zwei oder drei, um ihm … eben weil ich sie auch angeschaut habe.« Carmen war die Frage unangenehm und sie rechtfertigte sich sofort. »Man macht eben manchmal Dinge, die man später nicht mehr versteht.«
    »Und, gefielen sie dir?«
    »Scheußlich.« Carmen schüttelte sich. »Die Filme meines Ex-Mannes waren absolut scheußlich. Es gibt bestimmt auch andere«, räumte sie ein. »Schöne ästhetische Körper, wo du mehr erahnst als siehst, was vielleicht den größten Reiz ausmacht. Aber seine waren pervers. Und anschließend wollte er die gleichen Szenen mit mir im Bett nachspielen. Einmal habe ich eingewilligt. Ekelhaft, richtig ekelhaft.« Carmen wandte sich ab. Einen Augenblick dachte Sarah, sie würde sich übergeben.
    »Schaut deiner auch Porno-Filme?«
    »Weiß ich nicht.« Sarah zuckte mit der Schulter.
    »Oder steht er auf Reizwäsche?«
    Sarah lachte. »Nein, am liebsten steht er auf überhaupt keiner Wäsche. Nackte Haut gefällt ihm am besten.«
    »Kann ich verstehen, wenn ich mir dich so anschaue«, spöttelte Carmen, die einen Schritt zurückgetreten war. »Mit anderen Worten, er hat also keine besondere, ausgefallene Eigenart. Nichts Perverses. Keinen Spleen.«
    »Das habe ich nicht gesagt«, protestierte Sarah. »Henry hat einen Ordnungstick. Nicht, dass er selbst

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