Das Erwachen
Kraft. Es war ja doch nicht zu ändern.
Was hat Henry mit mir vor, fragte sie sich. Wie sie ins Badezimmer kam, konnte sie sich ausmalen. Henry hätte wegen seiner körperlichen Kraft zwei Frauen ihres Kalibers zur gleichen Zeit tragen können. Und was Henry beabsichtigte, erfuhr sie wenige Sekunden später, als er sie ins Schlafzimmer trug.
»Nein«, hörte sie sich schreien. »Bitte nicht.« Ihre Stimme klang seltsam gedämpft, als würde sie aus dem Nebenraum kommen. So schwach war sie.
Und als sie Henry wegdrücken wollte, kamen ihr die Arme schlapp wie Gummibänder vor.
»Was ist mit mir?«
Henry antwortete nicht. Er legte sie aufs Bett, verdunkelte die Beleuchtung, zog sich aus und legte sich neben sie. Sarah, die den Verband an seinem Unterarm bemerkte, dort musste ihn das Messer verletzt haben, wollte aufspringen, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht. Ungewöhnlich langsam kamen ihr all die Reaktionen vor.
»Wir wollen doch Kinder haben, mein Schatz«, hörte sie Henry mit zärtlicher Stimme. Und dann spürte sie, wie seine Finger über ihre Haut glitten und an ihrer Brust verweilten.
»Wir wollen doch Kinder haben.« Er führte ihre Hand in seinen Schritt, aber sie war zu müde und zu apathisch, um ihm weh zu tun. Sie registrierte, wie seine Männlichkeit wuchs.
»Nein, bitte nicht. Ich will nicht.«
»Natürlich willst du, Sarah. Wir wollen doch Kinder haben. Und außerdem bist du meine Frau. Und eine Frau hat ihrem Mann gegenüber nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Und Pflichten muss man erfüllen. Habe ich nicht bisher all meine Pflichten erfüllt?«
Er legte sich auf sie, spreizte ihre Beine und Sarah spürte, wie er eindrang. Sie stöhnte verhalten, wollte mit den Fingern sein Gesicht verkratzen, wie sie es schon einmal getan hatte, aber zwischen ihrem Kopf und den ausführenden Armen und Händen war eine unüberwindliche Distanz. Ihr Körper funktionierte nicht mehr. Und dann wurde sie von Henry geschoben, immer wieder geschoben. Ihr wurde übel, Tränen liefen ihr die Wangen herunter.
Irgendwann war Ruhe. Henry stand auf und kam mit zwei Gläsern Sekt zurück.
»Hier, meine Süße.«
Sie wandte den Kopf, aber Henry flößte ihr den Alkohol ein. Und weil er ihr auch noch die Nase zuhielt, musste sie zwangsläufig schlucken.
Dann träufelte er ihr Sekt in den Bauchnabel. Mit der Zunge leckte er ihn auf. Anschließend auf ihre Brüste und die Schultern.
»Bitte Henry«, flehte sie. »Lass mich gehen. Lass mich einfach gehen. Du bist doch kein Unmensch.«
»Gleich kannst du gehen. Aber zuerst erfüllen wir unsere Pflicht. Schließlich bist du meine Ehefrau, vergiss das nicht.«
Sarah verlor jede Zeitorientierung und auch jedes körperliche Gefühl. Sogar ekeln konnte sie sich nicht mehr. Irgendwann fand sie sich in ihrem Verließ wieder. Das Licht brannte. Erleichtert atmete sie auf. Sie befühlte ihren Unterkörper und kam sich so unendlich schmutzig vor.
Wie lange sie gedöst hatte, sie wusste es nicht. Irgendwann stand sie auf und musste sich an einem Regal festhalten. Ihr war schwindelig. Sie inspizierte den kleinen Raum, aber außer den mit der Wand fest verschraubten Regalen und dem Kühlaggregat befand sich nichts in ihm.
Sie rüttelte an den Regalen, sie gaben keinen Millimeter nach. Dann kniete sie auf den Boden und untersuchte ihn in der Hoffnung, etwas zu finden. Einen Schraubenzieher, ein Stück Holz oder was sie sonst als Waffe benutzen konnte, um sich zu wehren. Vielleicht auch nur ein Einmachglas.
Nach wenigen Minuten gab sie ihre Suche auf. Erst jetzt stellte sie fest, ihr Verließ war gereinigt worden. Es roch nicht mehr nach Urin und der Boden schien aufgewischt zu sein.
Was hat er nur mit mir vor, fragte sich Sarah, während sie sich in einer Ecke zusammenkauerte. Was hat er nur mit mir vor. Will er mich gefangen halten? Und wie lange? Während der Ferien? Und dann? Denkt er, ich würde schweigen? Mich ruhig verhalten?
Während ihr immer wieder diese Überlegungen kamen, durchzuckte sie zum ersten Mal ein schlimmer Gedanke. Erfolgreich konnte sie ihn verdrängen, aber wenig später war er nicht mehr zu unterdrücken: Henry durfte sie nicht am Leben lassen, denn sie wäre eine Zeugin für sein anormales Verhalten. Und einmal an die Öffentlichkeit gebracht, würde ihn das ruinieren.
Ein Weinkrampf schüttelte sie bei der Erkenntnis, dass Henry sie wohl umbringen würde. Ihr Ehemann sich ihrer entledigen musste. Und während sie weinte, kam ihr die eigene
Weitere Kostenlose Bücher