Das Erwachen
von allen Seiten. »Datum von vor vier Tagen, abgeschickt in Konstanz«, stellte er fachmännisch fest. »Und es hat sich unter der angegebenen Adresse niemand gemeldet? Hotel Schwäbisches Meer?«
»Es gibt kein Hotel mit einem solchen Namen.«
»Interessant.« Breuer kratzte sich am Kinn. »Wirklich interessant. Ist sie mit dem Auto gefahren?«
Henry verneinte. »Das ist es ja, was mich sorgt. Nie und nimmer würde sie ohne ihr Auto reisen. Schon gar nicht an den Bodensee. Ein Katzensprung für Sarah. Sie ist eine ausgezeichnete und leidenschaftliche Fahrerin. Außerdem hat sie ein bildschönes Coupe von Shogun. Metallic, Klima, Fensterheber, Automatik, alles drin und alles dran. Bildschön, sage ich Ihnen.«
»Verstehe.« Breuer wollte eigentlich kein Auto kaufen.
»Deshalb war ich am Bahnhof und habe mich erkundigt, ob sie vielleicht vor Tagen einen Zug genommen hat. Hier in Saarburg kann sich keiner an sie erinnern. Sie kennen Sarah zwar alle, jedoch gesehen hat sie niemand. Aber sie muss doch zumindest mit einem Zug fahren, wenn sie weg will. Oder sehe ich das falsch?«
Der Beamte überlegte und wackelte dann mit dem Kopf. »Sie könnte ein Taxi genommen haben bis Trier oder Merzig.«
»Nein, hat sie nicht.«
»Es muss ja keines aus Saarburg gewesen sein. Haben Sie auch in Trier nachgefragt? Oder bei den Unternehmen in Konz?«
Henry verneinte.
»Sehen Sie. Dann gibt es ja auch noch Busse. Wir haben einen schönen großen Busbahnhof hier mitten in der Stadt.«
»Sarah und einen Bus?« Henry fand diese Vorstellung absurd. »Sie ist Besseres gewohnt und würde nie einen Bus nehmen.«
Der Beamte hatte Geduld. »Herr von Rönstedt, glauben Sie mir, in solchen Fällen kennen wir uns besser aus. Ihre Frau ist unangemeldet verreist. Das ist doch richtig.«
»Ja.«
»Und wie ich nun die Umstände einschätze, und wie Sie mir Ihre Frau am Telefon geschildert haben, kann es doch sein, dass sie einmal allein sein will. Einfach allein.«
»Dazu hatte sie keinen Grund«, protestierte Henry. »Bisher haben wir immer alles gemeinsam gemacht. In einer Ehe gehört sich das so.«
»Das werden Sie auch in Zukunft tun, wenn sie wieder zurück ist«, beschwichtigte ihn Breuer. »Aber wie gesagt, den Anzeichen nach wollte sie nicht, dass jemand etwas von ihrer Abreise erfährt.«
Das gab Henry nach einigem Zögern zu.
»Und dieses Hotel gibt es auch nicht. Aber der Brief ist echt, ihre Handschrift ist echt, der Stempel ist echt, die Briefmarke ist echt. Was folgern wir daraus?«
Henry konnte die eher hypothetisch gemeinte Frage nicht beantworten. Außerdem war er in keiner Quiz-Show.
»Sie möchte immer noch allein sein«, verdeutlichte es der Beamte. »Sonst hätte Sie Ihnen ja ein Hotel genannt, was es gibt und wo sie zu erreichen wäre. Verstehen Sie?«
Langsam nickte Henry. »Ja, leuchtet mir ein.«
»Und weil sie immer noch allein sein will, aber zumindest in Konstanz gewesen sein muss, deshalb hat sie alle Spuren, die auf sie hinweisen, verwischt. Das ist doch logisch.«
»Wieso logisch?«
»Weil ansonsten Sie, Herr von Rönstedt, ihr doch nachgefahren wären. Ist es nicht so?«
»Natürlich.« Henry richtete sich etwas auf. »Ich lasse meine Frau doch nicht allein in der Welt herumreisen. Das gehört sich nicht. Und es ist viel zu gefährlich.«
Der Beamte seufzte gottergeben. Da gab es doch in der Stadt diese Gerüchte um das Ehepaar Rönstedt, man sprach von Streit und Scheidung und vielen anderen unschönen Dingen. Und ausgerechnet er, der Ehemann, dem man besonders alles Unschöne nachsagte, verhielt sich genau entgegengesetzt, als es die Gerüchte glauben machen wollten. Noch nie war ihm ein so besorgter Ehemann untergekommen. Und er war lange genug Polizeibeamter, um einschätzen zu können, hier zog niemand eine Schau ab, das war garantiert nicht gespielt.
»Also Herr von Rönstedt, es besteht meiner Ansicht nach immer noch kein Grund zur Sorge.«
Henry schien anderer Meinung zu sein.
»Trotzdem nehmen wir eine Vermisstenanzeige auf, wenn es Sie beruhigt.«
»Vielen Dank. Das würde mich wirklich sehr beruhigen.«
»Hat Ihre Frau persönliche Dinge mitgenommen?«
Henry zuckte mit der Schulter und überlegte. »Das weiß ich nicht. So genau kenne ich mich nicht im Kleiderschrank meiner Frau aus. Sie etwa?«
Der Beamte, ein Oberkommissar, wie draußen auf dem Schild zu lesen war, verneinte und lächelte wissend. »Wer kennt sich schon im Kleiderschrank seiner Frau aus, da haben Sie
Weitere Kostenlose Bücher