Das Erwachen
recht.« Er schaltete den Computer ein und bearbeitete die Tasten. »Nun, dann wollen wir mal die Anzeige aufnehmen.«
Nachdem der Oberkommissar die persönlichen Daten eingegeben hatte, fragte er nach unverwechselbaren Kennzeichen oder Merkmalen.
»Sie ist so nett, so unheimlich nett.«
»Herr von Rönstedt, das hilft mir nicht weiter«, meinte der Beamte geduldig.
»Aber das ist unverkennbar. Und sie war schwanger.«
»In anderen Umständen«, murmelte Breuer vor sich hin und bediente seinen Computer. »Das ist doch schon was. Im wievielten Monat?«
»Ich glaube, im …« Henry sah ihn an. »Tut mir leid, so genau weiß ich es nicht. Ich werde ihren Frauenarzt fragen.«
»Gibt es noch andere unverwechselbare Körpermerkmale?«
Henry schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist perfekt, einfach perfekt. Ihr ebenmäßiges Gesicht, die tiefgründigen Augen, dann ihr Mund. Ein süßer, viel versprechender Mund. Und erst ihre Figur! Sie müssten sie mal sehen. Es gibt keine Frau, die eine bessere Figur hat.«
»Also schlank«, konstatierte der Beamte und tippte. »Aber das ist kein unverwechselbares Merkmal. Es gibt viele schlanke Frauen.«
Henry sprang von seinem Stuhl. »Aber es gibt nur eine Sarah, und das ist ein unverwechselbares Merkmal«, raunzte er den Beamten an und verließ den Raum. Nachdenklich schaute dieser ihm nach.
Jeden Tag rief Henry mehrfach bei der Polizei an. Inzwischen wurden dem bearbeitenden Beamten die Anrufe zur Last. Er ließ deutlich seinen Unwillen spüren. Mehr tun könne man in dieser Phase nicht. Es gäbe auch noch andere, die auf die Hilfe der Polizei angewiesen sind.
Henry wollte sich nicht mit Allgemeinfloskeln abspeisen lassen und drohte, sich bei seinem Vorgesetzten zu beschweren.
Dadurch ließ sich der Beamte zu der Bemerkung verleiten: »Wenn Sie ihre Frau anständig behandelt hätten, dann wäre sie auch nicht weggelaufen.«
Wenige Minuten später stürmte Henry in das Zimmer des Oberkommissars und packte ihn am Kragen. Zwei weitere Beamte waren nötig, ihn zu bremsen und zu beruhigen. Wieder einige Minuten später kam Henrys Anwalt und beschwichtigte den Oberkommissar. Henry sei nervlich sehr angeschlagen, da könne so etwas schon mal passieren.
Der Beamte lenkte ein und erstattete keine Anzeige.
Dafür terrorisierte Henry all seine Bekannten mit Telefonanrufen. Ob Sarah sich schon gemeldet habe, sie vielleicht wüssten, wo sie sich aufhalten könne, es einen Ort gäbe, von dem er nicht wisse.
Die Mitglieder des SUV waren aus dem Urlaub heimgekehrt, und gleich am kommenden Abend sollte die erste Sitzung des Verbandes stattfinden.
Henry war zugegen, jedoch durch seinen nervlichen Zustand so angeschlagen und gedankenlos, dass man die Sitzung abbrechen musste. Achterbusch und Ellwanger, die sich die Frage nach dem Planungsstand des neuen Autohauses verkniffen, und damit auch die Frage nach den Chancen, den Auftrag endgültig zu bekommen, nahmen Henry in die Mitte und gingen mit ihm in eine Gaststätte in den Staden, dem Unterteil der Stadt, gleich an der Saar gelegen.
»Über eine Woche ist sie nun schon verschwunden«, sprach Henry traurig mehr zu sich selbst. »Niemand weiß, wo sie sich aufhält. Was habe ich nur getan?«
Die beiden Geschäftsfreunde trösteten ihn. Jonas Ellwanger schaute auf seine Uhr, er hatte noch etwas vor. Aber es war nicht Susi, die wartete. Schon seit geraumer Zeit benutzte er, wie viele andere des Verbandes auch, die Sitzungstermine dazu, sich frühzeitig zu verabschieden, um einen anderen, erfreulicheren und aufregenderen Termin wahrzunehmen. Und da fast jeder des SUV im Laufe der Zeit eine Freundin hatte, deckte man sich gegenseitig. Man konnte ja nicht wissen.
Ellwanger verabschiedete sich deshalb auch wenig später, und Achterbusch bemühte sich, Henry aufzumuntern. Allerdings kam er sich fehl am Platze vor, denn so wie er Henry kannte, benötigte der keine Aufmunterung. Auch dann nicht, wenn ihm die Frau weggelaufen war. Das, so dachte Achterbusch, würde Henry problemlos verkraften. Zumindest dachte er noch so vor wenigen Tagen. Aber der Henry, der ihm heute gegenübersaß, wirkte anders als sonst. Nachdenklich, schon fast eingeschüchtert. Fahrig in den Bewegungen, ohne Konzentration und sprunghaft von einem Thema zum anderen wechselnd. Am Alkohol lag es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Und immer wieder schaute Henry auf die Uhr, als erwarte er jemanden.
»Lass’ den Kopf nicht hängen, alter Junge.« Zu mehr Aufmunterung war
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