Das Erwachen: Dunkle Götter 1
fehlten die Worte, und die Feinde griffen stürmischer an als zuvor.
Der Herzog bewaffnete sich, und da nun auch er und Dorian in unserer Linie standen, schöpften wir neuen Mut, obwohl wir nur wenig mehr als dreißig Männer waren. Mehr als hundert schwarz gekleidete Meuchelmörder, also ein Vielfaches unserer Zahl, griffen uns in der Halle an. Als wir kämpften, sah ich, wie auch einige Frauen und Edelfrauen den Toten die Schwerter abnahmen und unsere Reihen verstärkten. Rose und Penny waren unter ihnen. Sogar Ariadne bewaffnete sich, auch wenn sie nicht versuchte, ins Kampfgeschehen einzugreifen.
Genevieve Lancaster stand jetzt hinter uns und feuerte diejenigen an, die unfähig oder nicht willens waren zu kämpfen, um mit ihnen eine Barrikade aus Tischen und zerbrochenen Möbelstücken zu bauen. Als ich dies sah, kam mir eine Idee, die uns entweder retten oder mich töten würde. Seitdem habe ich gelernt, dass meine Ideen manchmal ein zweifelhafter Segen sein können.
Gewöhnlich sagt man Zauberern keine großen Heilfähigkeiten nach. Der Grund dafür liegt in der Vielschichtigkeit der Aufgabe. Nur wenige Magier lernen, den Blick nach innen zu richten, um die inneren Vorgänge des Körpers wahrzunehmen und zu verstehen. Wer es tut, stellt fest, dass ein Eingriff in die körperlichen Prozesse oft mehr schadet als nützt. Die Mittler verlassen sich dagegen nicht nur auf ihre Kräfte und ihre Intuition, sondern greifen auch auf die Macht ihres jeweiligen Gottes zurück. Daher werden die meisten magischen Heilungen den Heiligen und den religiösen Wundertätern zugeschrieben. Dies soll allerdings nicht heißen, Zauberer könnten überhaupt nicht heilen. Im Laufe der Zeit gab es durchaus einige hervorragende Magier, die auch als Heiler bekannt wurden, doch sie sind eher als Ausnahmen zu betrachten. Die meisten vermögen nicht mehr zu tun, als oberflächliche Schnittwunden zu verschließen. Manchen gelingt es auch, Knochenbrüche einzurichten, aber nur wenige erwerben die nötige Geschicklichkeit, um schwierigere Heilungen durchzuführen.
Marcus der Ketzer,
Über das Wesen von Glaube und Magie
Wir zogen uns hinter eine improvisierte Barrikade aus umgestürzten Tischen und zerbrochenen Stühlen zurück. Eigentlich war es stark übertrieben, dies als Barrikade zu bezeichnen, aber immerhin verschafften wir uns auf diese Weise einen kleinen Vorteil, denn die Angreifer sahen sich behindert, und es fiel uns etwas leichter, sie zu töten oder wenigstens zu verletzen, während sie über die Möbel klettern wollten. Sie zogen sich kurz zurück, um ihren letzten Ansturm zu planen, und so trat eine kurze Kampfpause ein.
»Lady Genevieve!«, rief ich der Herzogin zu. »Ich brauche Eure Hilfe, ich habe eine Idee.« Sie nickte und kam rasch zu mir. Sie hatte genug gesehen, um zu erkennen, dass alles, was mir einfallen mochte, immer noch besser war, als uns einfach überrennen zu lassen.
»Was können wir tun?«, fragte sie.
»Holt die abgebrannten Scheite aus dem Kamin. Ich brauche eine Linie, so gerade wie möglich, von einer bis zur anderen Seite des Raumes!«, sagte ich. Dann erklärte ich mein Vorhaben noch einmal etwas ausführlicher, und schließlich verstand sie, was ich vorhatte, und teilte die Leute ein, die gleich darauf eilig hin und her rannten, um das verkohlte Holz zu holen und die Linie auf den Boden zu zeichnen.
In Vestrius’ Tagebuch hatte ich Hinweise auf große Magier der Vergangenheit gefunden, die in Kriegszeiten mit ihrer Kraft gewaltige Schilde aufgebaut und damit Gebäude oder Einwohner geschützt hatten. Oft waren sie durch die Anstrengung umgekommen, und dies besonders dann, wenn sie sich unzulänglich vorbereitet hatten. Meine eigenen Experimente hatten mir bereits gezeigt, wie viel mehr Kraft man aufwenden musste, wenn man wortlos arbeitete und keinen Spruch aufsagte. Die nötigen Worte, um einen Schild außerhalb meines Körpers zu errichten, kannte ich allerdings schon, und es gab sogar noch einen weiteren Weg, die Wirkung zu verstärken. Man konnte zusätzlich Symbole oder sichtbare Linien zeichnen, die einem ähnlichen Zweck wie ein Beschwörungskreis dienten. Zwar war ich nicht sicher, inwiefern ein einfacher Strich helfen würde, aber schaden konnte er auch nicht.
Ich hatte Genevieve eingeschärft, dass die Linie so gerade wie irgend möglich sein musste. Einer ihrer Helfer – er war Zimmermann – schnappte sich ein Brett, das von einem zerbrochenen Tisch stammte, und zeichnete eine
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