Das Erwachen: Dunkle Götter 1
geeigneter Gesprächsthemen, aber ich war der Ansicht, auch einmal improvisieren zu dürfen.
Nun musterte sie mich eingehend, und ich erkannte, dass hinter den blauen Augen ein scharfer Verstand arbeitete. »Aber gewiss. Ich war damals noch ein kleines Mädchen und sehr von der jungen Ariadne eingenommen.« Sie wandte den Blick wieder von mir ab, und es schien mir, als verharrte er nun eine Spur zu lange auf Dorian, der an der Vordertür Wache hielt. Aber vielleicht bildete ich es mir nur ein, denn gleich darauf richtete sie die Aufmerksamkeit wieder auf mich. »Wie lange lebt Ihr schon in Lancaster, Master Eldridge?«, fragte sie.
»Schon mein ganzes Leben lang«, hätte ich um ein Haar erwidert. »Noch nicht so lange, aber ich bin schon oft hier gewesen.« Sie betrachtete mich nicht mehr direkt, und doch hatte ich das Gefühl, genau beobachtet zu werden. Als wir durch die Tür traten, zwinkerte ich Dorian rasch zu, um ihm zu verstehen zu geben, dass alles bestens verlief. Doch er bemerkte es nicht, weil er meine Begleiterin wie gebannt beobachtete. Nun war meine Neugierde endgültig geweckt.
»Seine Durchlaucht hat Euch als den gelehrten Master Eldridge vorgestellt. Darf ich fragen, was genau Ihr studiert?«, erkundigte sie sich. In der Frage glaubte ich, einen leisen Unterton zu erkennen. Noch schlimmer, ich hatte zu viel Zeit verstreichen lassen, und sie hatte mich in die Defensive gedrängt und obendrein ein Thema angesprochen, das es tunlichst zu meiden galt.
»Die Mathematik, Lady Rose, obwohl ich mich gewiss nicht als Gelehrten bezeichnen möchte. Verglichen mit den großen alten Mathematikern bin ich nicht mehr als ein Novize.« Wenn ich mir Mühe gebe, kann ich tatsächlich gepflegt Konversation machen.
»Ihr scheint nicht alt genug zu sein, um eine so umfassende Ausbildung genossen zu haben«, bemerkte sie.
»An Jahren bin ich durchaus noch jung, meine Lady. Das ist eine Tatsache, die mir immer wieder zum Nachteil gereicht. Ich werde froh sein, wenn mir endlich ein paar graue Haare wachsen, die meine Weisheit belegen können.« Auf diese Bemerkung war ich richtig stolz. Vielleicht stellte ich mich am Ende doch noch als ein Naturtalent heraus.
»Glaubt Ihr denn nicht, wir sollten die Älteren allein um ihrer Weisheit willen verehren?« Au! Schon wieder eine gekonnte Replik.
»So habe ich es keineswegs gemeint. Ich wollte lediglich andeuten, dass in der Mathematik ein fortgeschrittenes Alter nicht unbedingt ein Garant für große Weisheit ist und dass die Jugend nicht zwingend deren Mangel anzeigt.« Wir hatten das Sonnenzimmer erreicht, und nun war ich erleichtert, endlich fliehen zu können. Allmählich zweifelte ich doch an meinen Fähigkeiten, in dem Rededuell mit Lady Rose bestehen zu können.
So entschuldigte ich mich, doch sie hielt mich weiter am Arm fest. »Master Eldridge, nur die Ruhe. Wir sind uns doch gerade erst begegnet. Erlaubt mir, Euch einen Rat zu geben.« Der Blick ihrer blauen Augen fing mich ein. »Für einen Novizen schlagt Ihr euch wacker, aber lasst Eurem Gegner in Zukunft nicht so viel Zeit, das Gespräch auf Themen zu lenken, die Ihr lieber vermeiden würdet.«
»Gegner?«, stotterte ich.
»Sch-scht«, machte sie leise. Dann lächelte sie und zeigte mir zwischen den rosigen Blütenblättern ihrer Lippen die strahlendsten weißen Zähne. »Nun tut nicht so überrascht, sonst bringt Ihr noch Eure Freunde in Verlegenheit.« Sie winkte Marcus zu. »Beim nächsten Mal müsst Ihr darauf achten, dass Eure Augen Eure Gedanken nicht so bereitwillig verraten.«
Glücklicherweise schlenderte in diesem Augenblick Lord Thornbear zu uns herüber, und sie entließ mich. »Es war schön, Euch kennenzulernen, Master Eldridge. Ich hoffe, wir werden später noch eine Gelegenheit bekommen, uns zu unterhalten.« Damit drehte sie sich um und plauderte mit Lord Thornbear. Anscheinend hatte sie mich binnen eines Augenblicks völlig vergessen.
Ich dagegen ergriff sofort die Gelegenheit und wanderte quer durch den Raum zu Marc hinüber, der sich mit Stephen Airedale unterhielt. Als er mich kommen sah, entschuldigte er sich und zog mich zur Seite. »Könntest du mir einen Gefallen tun? Devon belegt da drüben Ariadne mit Beschlag. Ich bin sicher, sie könnte eine Verschnaufpause brauchen. Bist du so gut, ihn vorübergehend abzulenken?« Ich? Als hätte mein Freund nicht gewusst, dass ich in der Kunst der Konversation, zumindest in diesen Kreisen, ein blutiger Anfänger war. Andererseits musste
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