Das Erwachen: Dunkle Götter 1
etwas mit dem Tod seines Bruders zu tun hat, dürfte er in dieser Hinsicht ungeheuer misstrauisch sein. Drittens: Ein völlig Fremder kommt auf ihn zu und fragt ihn nach dem unglücklichen Ableben seines Bruders. Natürlich nimmt er an, du wolltest ihm entweder eine Botschaft zukommen lassen oder ihn bloßstellen. In jedem Fall wird er dies als Herausforderung auffassen.«
»Oh«, antwortete ich scharfsinnig. »Nun ja, glücklicherweise lebe ich hier und nicht in Tremont.«
»Du Idiot! Als ob ihn so etwas stören würde.« Mein Freund war jetzt richtiggehend wütend.
»Was meinst du damit?«
»Der einzige Mensch, der einen der höheren Adligen beleidigen kann, ist jemand, der im Rang zumindest ebenbürtig ist oder über ihnen steht, wie beispielsweise mein Vater oder ein Mitglied des Königshauses«, erklärte er, als wäre ich lediglich ein Kind.
»Gott sei Dank ist der Rang meines Freundes dem seinen ebenbürtig.« Ich lächelte freundlich, weil ich hoffte, ihn damit zu beruhigen.
»Das macht es nur noch schlimmer. Sieh mal, dort.« Er blickte an mir vorbei.
Ich drehte mich langsam, um unauffällig einen Blick in den Raum werfen zu können. Devon blickte zu uns herüber, hob das Glas und nickte mir grüßend zu. »Was hat das denn nun zu bedeuten?«, fragte ich.
»Er weiß bereits, dass wir Freunde sind, und denkt vermutlich, ich hätte dir die Fragen über seinen Bruder in den Kopf gesetzt. Bisher sind wir noch freundlich miteinander umgegangen, aber von jetzt an betrachtet er mich als Feind. Das schützt dich nicht, sondern bringt dich eher in Gefahr, Mort.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich dir folgen kann«, entgegnete ich.
»Er kann mich nicht direkt angreifen, also knöpft er sich meine Verbündeten vor. Am liebsten natürlich diejenigen, denen nur beschränkte Mittel zur Verfügung stehen.« Marc starrte mich an, während ich endlich begriff, was er mir die ganze Zeit hatte sagen wollen.
»Aber ich kenne ihn doch überhaupt nicht und wollte ihn mir ganz gewiss nicht zum Feind machen.« Wie konnte etwas nur so schrecklich schiefgehen?
»In diesen Kreisen spielen die Absichten keine Rolle«, antwortete Marc mürrisch.
»Was kann ich jetzt tun?« Inzwischen war ich einigermaßen beunruhigt.
»Mach einen Bogen um ihn, so gut es möglich ist, und bete, dass er nicht so viel über dich und deine Freunde herausfindet. Wir gehen nun wieder hinein. Wenn wir allein hier draußen schwatzen, wird er nur noch misstrauischer.« Marc trat wieder in das Zimmer. Ich folgte gleich darauf und erkundete auf eigene Faust die Schar der Gäste.
Nach einer Weile war ich mit Stephen Airedale in ein Gespräch verwickelt, der so sehr von sich selbst eingenommen sein musste, dass er keine einzige Frage über mich stellte. Nur zu bald wurde mir das langweilig, denn ich interessierte mich nicht im Mindesten für den Gewürzhandel und die großen Summen, die er in diese Geschäfte investiert hatte. Ich wollte mich gerade entschuldigen, um den Abort aufzusuchen, als Penny mit einem Tablett Vorspeisen in den Salon kam. Unsere Blicke begegneten sich für einen Moment, dann wandte sie sich unsicher ab.
Mit einem flauen Gefühl in der Magengrube ging ich zum Abtritt. Im Laufe eines kurzen Tages hatte ich es geschafft, meinen besten Freund politisch in die Bredouille zu bringen und eine alte Freundin zu überzeugen, dass ich mit den Mächten der Finsternis verbündet war. Wenigstens hatte ich Dorian noch keine Schwierigkeiten gemacht, aber Marcs Bemerkungen ließen mich fürchten, er könnte Devon als Ziel dienen, sobald dieser von unserer Freundschaft erfuhr.
Der Rest des Nachmittags verlief recht zäh, bis ich mich endlich auf mein Zimmer zurückziehen konnte, ohne weitere Probleme verursacht zu haben. Ich versuchte, ein Nickerchen zu machen, weil mich der vornehme Umgang ermüdet hatte, doch zugleich war ich voller Unruhe. So verbrachte ich die Zeit damit, das wenige zu üben, was ich bisher gelernt hatte. Nach einer Weile war ich recht geschickt darin, die Stärke des Lichts, das ich hervorbrachte, zu steuern. Ich entwickelte ein Gefühl für den Fluss des Aythar, während ich die Lichtkugel erschuf. Wie ich inzwischen wusste, war »Aythar« die richtige Bezeichnung für jene Kräfte, die die Zauberer benutzten, um magische Wirkungen hervorzurufen.
Allerdings gab es keine geeigneten Objekte, um den Schlafzauber auszuprobieren. Seit dem Erlebnis mit dem Falken war ich vorsichtig und hatte sogar Schuldgefühle. Ich beschloss,
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