Das Erwachen
bogen in die zeitlosen Gänge der Höhle ein, da rief Stort mit neuer Liebe in der Stimme: »Nun komm schon, komm!« Und Georg, auch er gewiss vom Geist seiner Ahnen beseelt, folgte seinem Herrn, dem er immer gehorchen, den er immer lieben, beschützen und ehren würde.
45
ERWACHSENWERDEN
I n den letzten Julitagen kam die Erde wieder zur Ruhe. Ein warmer, beschaulicher Sommer hielt Einzug, und lauer Wind bewegte sanft den Vorhang am offenen Fenster, als Margaret Foale am Morgen erwachte.
»Arthur ...?«
»Ja, Liebling?«
»Sie ist so schön, die Erde.«
»Das ist sie.«
Margaret war jetzt träge, müde, ließ los.
Im Haus war wieder Frieden eingekehrt nach den lärmerfüllten, stürmischen Monaten, in denen Judith, die kommende Schildmaid, in aller Heimlichkeit aufgewachsen war, was sie alle an den Rand ihrer Belastbarkeit gebracht hatte.
Nun war sie ebenso fort wie Jack, und sie vermissten sie beide, leuchtende Sterne an ihrem ruhigen Firmament.
»Arthur, kann ich ihr etwas bringen?«, rief Katherine, als er nach unten kam. »Tee? Frühstück? Irgendwas?«
Er schüttelte den Kopf, nahm nicht Platz und knetete nervös seine Finger. Er wünschte, er könnte etwas tun, wusste aber, dass er nichts mehr tun konnte.
»Sie ist glücklich. Sie genießt die Aussicht aus unserem Schlafzimmerfenster. Es gefällt ihr, dazuliegen und hinauszuschauen. Das weiße Pferd ist prachtvoll und galoppiert wer weiß wohin.«
Sie gingen nach oben, setzten sich zu ihr ans Bett und hielten ihr die Hände.
»Wir haben uns gerade gefragt, wohin das Pferd deiner Meinung nach galoppiert«, sagte Arthur.
»Bis ans Ende der Welt«, antwortete Margaret. »Und jetzt sollte ich wohl ein wenig schlafen.«Das weiße Pferd war das Letzte, was Margaret sah, als sie eines Morgens aufwachte, Arthur zuflüsterte, er solle bei ihr bleiben, ihr die Hand halten, denn sie fühle sich müde, so müde und ...
»Es ist so schön ...«
Sie hielt seine Hand, und die andere streckte sie nach dem Pferd aus, um es zu berühren, seine herrliche Mähne zu streicheln, griff durch das Fenster, hinaus in den leichten Sommerwind, griff schließlich hinaus, wie ihre Freundin Clare es vor ihr getan hatte.
»Ich würde gerne sehen, wie sie auf ihm reitet, Arthur, ich würde gerne sehen, wie Judith auf ihm reitet, aber du kannst ... du wirst ... sie wird ... es ist ... so ...«
Sie verstummte, ihre Hand fiel auf die Bettdecke zurück.
Arthur nahm sie in die Arme, während unten Katherine leise umherging.
Sie schmiegte sich an ihn, sagte »so schön« und war tot.
In den folgenden, geschäftigen Tagen, als sich die Welt in Trauer weiterdrehte, Katherine Arthur über das Schlimmste hinweghalf und sie beide schon fürchteten, sie seien nun die Letzten in Woolstone House, die Letzten von allen ... da spürte Katherine, dass Judith nach Hause gekommen war.
»Sie ist hier, Arthur, sie ist hier ... Ich fühle, dass sie in der Nähe ist, hier bei uns.«
»Bei dir, Katherine. Das tun Kinder, wenn ihre Eltern sie brauchen: Sie kommen nach Hause. Erst dann werden sie richtig erwachsen, wenn sie sehen, dass sie eine Aufgabe zu erfüllen haben. Es ist dieser paradoxe Augenblick, in dem sie Abschied nehmen und die Eltern frei sein können, weil die Liebe, die sie verbindet, größer ist als jemals zuvor.«
»Aber ich war nie eine Mutter ...«
»Das darfst du nicht sagen«, entgegnete er ziemlich scharf, »niemals. So darfst du nicht denken. Du hast sie empfangen, ausgetragen und zur Welt gebracht. Du bist ihre Mutter. Sie hat keine andere, nur dich.«
»Ich habe nie mit ihr gesprochen, nie die Augenblicke mit ihr geteilt, die eine Mutter mit ihrer Tochter teilen sollte, bis auf ...« Sie lächelte und blinzelte Tränen weg. »... bis auf das eine Mal, als wiruns gegenseitig Bänder ins Haar geflochten haben, und der Wind uns davongetragen hat.«
Arthur schüttelte den Kopf. »Es ist nicht vorbei, sie braucht dich noch. Wenn sie wirklich hier ist ...«
»Ich weiß es.«
»Wenn dem so ist, dann finde einen Weg, mit ihr zu sprechen. Wahrscheinlich fürchtet sie sich ebenso wie du. Aber sie ist nun, da du sie brauchst, nach Hause gekommen. Vielleicht braucht sie dich ebenfalls. Geh und sprich mit ihr.«
»Ich weiß nicht, wie.«
»Doch, ich denke schon. Du hattest die beste Lehrerin – deine Mutter Clare. Du könntest bei den Windspielen anfangen. Diese verflixten Dinger klirren immer so, als wüssten sie alles. Sprich zu ihnen. Vielleicht hört dich Judith
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